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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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sie unserem Willen und Einfluss entzogen sind.«
    »Sind sie das wirklich?«, fragte sie leise nach. »Auf mich trifft das ja fraglos zu, aber auch auf Euch?« Ihre feingeschwungenen Brauen gingen leicht in die Höhe. »Ahnt Ihr, was ich in meinem Gemach heimlich zur Hand nehme, wenn ich zum Beten niederknie? Das Gebetbuch ist es jedenfalls nicht.«
    Ihm war, als färbe sein Gesicht sich dunkelrot. Hatte sie ihn doch an ihre letzte Begegnung an diesem Ort erinnert, die gut zwei Monate zurücklag. Wütend hatte ihr Vater seine Skizze vom Sündenfall aus der Kladde gerissen, zusammengeknüllt und zu Boden geworfen. Dass er, der Malermönch, Lucrezia als bezaubernde Eva in fast gänzlicher Nacktheit gezeichnet hatte, war nicht der Auslöser seines Wutanfalls gewesen. Das hatte er so gewünscht, wie er sie zudem noch als Madonna in seiner Kapelle verewigt sehen wollte. Ihn hatte etwas ganz anderes empört, nämlich, dass auf dem Entwurf nicht nur Eva unter dem Baum der Erkenntnis nach dem Apfel gegriffen hatte, sondern auch Adam. Dass Marsilio Petrucci ihn nicht der Blasphemie bezichtigt, sondern die Darstellung nur entrüstet als Unfug bezeichnet hatte, verdankte er wohl nur seinem hervorragenden Ruf und seinem Habit. Und während Lucrezias Vater wutschnaubend aus der Hauskapelle gestürmt war, hatte sie sich nach dem Papierknäuel gebückt, die Skizze heimlich eingesteckt und ihm, bevor sie ihrem Vater folgen musste, beschwörend zugeflüstert: »Ihr habt mir in die Seele geschaut, Angelico. Und Ihr wisst es! Rettet mich!«
    Allmächtiger, er vermochte ja nicht einmal sich selbst zu retten vor den Dämonen, die schon in überreicher Zahl in ihm gehaust hatten, bevor er ihr das erste Mal begegnet war!
    Hastig wich Pater Angelico ihrem forschenden und verzweifelt hoffenden Blick aus und wandte sich dem Skizzenbuch zu, denn er fürchtete, sie könnte seine geheimsten Gedanken und Wünsche in seinen Augen lesen wie den Text in einem aufgeschlagenen Buch.
    »Ich werde in nächster Zeit mit meinem Novizen hierher zurückkehren und mich an die Arbeit machen«, erklärte er mühsam beherrscht und wechselte abrupt das Thema, um das gefährlich glatte Eis ihres bisherigen Wortwechsels schnellstmöglich zu verlassen. »Wir werden sehr beschäftigt sein, um Euren Vater nicht noch mehr zu verärgern.«
    »Wollt Ihr mir zu verstehen geben, dass Ihr keine Zeit mehr für mich haben werdet und ich Euch tunlichst fernbleiben soll?«, fragte sie.
    Er sah sie nicht an. »Meinen Wünschen sind scharfe Grenzen gesetzt, Donzella«, erwiderte er, so kühl es ihm nur möglich war. Dabei begehrte alles in ihm auf; er wollte nicht so herzlos sein. »Ich habe meine Pflichten zu erfüllen – als von Eurem Vater beauftragter Maler und als Mönch, der ein heiliges Gelübde abgelegt hat. Ich bitte Euch, vergesst das nicht.«
    Ihre Hand fuhr durch die Luft, als wolle sie seine Worte abschmettern. »Nichts von dem, was Menschen tun, sagen oder schwören, ist ewig!«, erwiderte sie heftig. »Und wenn ich mich nicht täusche, findet sich nirgendwo in der Bibel eine Stelle, an der das größte und einmalige Geschenk Gottes, nämlich die Lie…«
    Mitten im Wort brach sie ab, denn die Tür zur Kapelle flog auf. In Begleitung zweier fremder Männer in edler Reisekleidung kam ihr Vater hereingestiefelt.

20
    D a bist du ja, mein Augenstern! Unser Besuch aus Lyon ist eingetroffen!«, rief Marsilio Petrucci, schwer um Atem ringend. Er schnaufte, als sei er nicht nur die paar Dutzend Stufen ins Obergeschoss heraufgestiegen, sondern habe einen steilen Berg erklommen. Angesichts seiner Leibesfülle, die durchaus die Bezeichnung Fettsucht verdiente – und in einer kräftig roten Samtrobe nach Art der Prioren steckte –, konnte seine Atemnot allerdings kaum überraschen.
    Als er den Malermönch erblickte, erstrahlte sein teigiges, von Schweißperlen glänzendes Gesicht mit den hängenden Hamsterbacken wie die aufgehende Sonne an einem wolkenlosen Morgen. »Und was sehe ich da! Pater Angelico, mein schon verloren geglaubter und viel gerühmter Meister der Freskenkunst! Endlich seid Ihr zurück! Bei Gott, der Tag wird immer besser!«
    Pater Angelico verneigte sich respektvoll, aber ohne jeden Anflug von Unterwürfigkeit vor den drei Herren, was die vornehm gekleideten Franzosen, der eine um die vierzig und damit so alt wie der feiste Wollfabrikant, der andere ein gutes Dutzend Jahre jünger, mit einem eleganten angedeuteten Nicken erwiderten.
    Marsilio Petrucci

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