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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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hinunter in den Schacht. Dann blickte er sich suchend um.
    »Pater?«, rief da der Commissario. »Padre, hier! Der flüchtige Vogel zappelt im Netz.«
    Verblüfft wandte sich der Mönch in die Richtung, aus der die Stimme kam, und erblickte die hoch aufgeschossene Gestalt Scalvettis etwa vierzig Schritte entfernt vor der Silhouette einiger Hütten, die sich in den Schatten einer Färberhalle duckten.
    »Hol mich Gott weiß wer!«, stieß er ungläubig hervor und stapfte, sich den Dreck von der Kleidung klopfend, zu dem Commissario hinüber.
    Lässig stand Tiberio Scalvetti neben dem zweiten Ausgang auf der dem Borgo dei Tintori zugewandten Seite des linken Katakombentunnels, einen Fuß auf dem Rücken von Silvio Montini, der jammernd vor ihm am Boden lag.
    »Beim heiligen Blut unseres Erlösers, wie habt Ihr den Burschen zu fassen gekriegt?«, fragte Pater Angelico. »Ihr seid doch hinter mir gewesen und wolltet den linken Gang übernehmen!«
    »Ich habe es mir im letzten Moment anders überlegt. Ich habe mir gedacht, dass der Schurke sich kaum da unten verstecken wird«, antwortete Scalvetti mit einem Ausdruck leiser Belustigung. »Er konnte schließlich nicht wissen, dass wir nur zu zweit waren und nicht draußen noch einen Trupp Sbirri hatten, mit dem wir alle drei Zugänge hätten absperren können, um die Katakomben in Ruhe nach ihm abzusuchen. Er wollte da unten nicht in der Falle sitzen. Also dachte ich mir, dass er vermutlich den Ausgang nehmen würde, der den ersten verwinkelten Gassen am nächsten liegt.«
    »Und das hättet Ihr mir nicht eher sagen können?«, grollte Pater Angelico. »Ich will ja nicht übertreiben, aber das da unten kommt dem ersten Kreis von Dantes Hölle schon sehr nahe! Es hat nicht viel gefehlt, und die Elendsgestalten hätten mir die Sachen vom Leib gerissen und mir Gott weiß was angetan!«
    »Seht es mir nach, Pater, aber dafür war einfach nicht mehr genug Zeit. Zudem kam mir der Gedanke erst, als Ihr schon durch den Eingang wart«, sagte Scalvetti, zuckte bedauernd die Achseln und fügte mit gutmütigem Spott hinzu: »Wie ich sehe, habt Ihr die Gefahr bestens gemeistert. Also seid getröstet: Ad augusta per angusta! « Durch die Enge zum Erhabenen.
    »Ja, major e longinquo reverentia «, konterte der Mönch mit säuerlicher Miene. Aus der Ferne besehen ist alles schön.
    »Da kann ich Euch nicht widersprechen«, erwiderte Tiberio Scalvetti und versetzte dem am Boden Liegenden einen leichten Tritt in die Seite. »So, und jetzt hoch mit dir, Bursche! Wir haben noch eine längere Unterredung mit dir zu führen. Es geht um deine Verbrechen. Also beweg dich!«
    »Ich habe nichts getan, Signore«, stieß Silvio Montini kläglich hervor, machte aber, dass er auf die Beine kam. »Was immer man mir nachsagt, ich habe es nicht getan! Ihr müsst mir glauben! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist, Signore.«
    »Was einem wie dir heilig ist, dürfte nicht der Rede wert sein«, erwiderte Scalvetti verächtlich. »Und mit blindem Glauben kann ich in meinem Amt nichts anfangen. Das fällt eher ins Fach des Paters. Ich verlasse mich auf gesicherte Erkenntnisse. Deshalb werden wir der Sache in aller Ruhe auf den Grund gehen – und zwar unten im Bargello!«

28
    E ine eisige Kälte bohrte sich Pater Angelico bis ins Mark. Sie hatte wenig mit jener zu tun, die von den Granitquadern der Kellerwände im Bargello ausging, obwohl die allein schon dazu angetan war, einen das Frösteln zu lehren. Es war das Wissen um die elendigen dunklen Kerker, in denen hier tief unter dem Palast des Podestà die Gefangenen ihrem Schicksal entgegendämmerten, und die schreckliche Folterkammer, die am Ende des unteren Zellengangs wartete.
    Viele von denen, die – unschuldig oder zu Recht – hier unten landeten, tauchten nie wieder auf, nicht einmal auf dem Richtplatz. Daran hatte man sich in Florenz gewöhnt, das bezeugte die ebenso geläufige wie fatalistische Redewendung: »O per disagio o per tormenti!«, wenn es um einen ging, der hier spurlos verschwunden war. Ob durch Entbehrung oder durch Folter, wer wusste schon, wie genau er zu Tode gekommen war? Am Ende wollte es auch keiner wissen.
    Unwillkürlich zuckte Pater Angelico zusammen, als einer der wachhabenden Waffenknechte die schwere Gittertür hinter ihnen ins Schloss fallen ließ und den Schlüssel umdrehte. Das scharfe, nachhallende Knallen von Metall auf Metall hatte etwas erschreckend Endgültiges, als gebe es in diesem Reich, in das nie ein

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