Der Todesengel von Florenz
Schimmer Tageslicht drang, weder Hoffnung noch Erlösung.
Der Mönch zog seinen Wollumhang enger um die Schultern. Er war froh, wieder seine eigenen Gewänder zu tragen. Scalvetti hatte sie ihm von einem seiner Vertrauten aus dem geheimen Raum unter der Colombina ins Bargello bringen lassen. Was hätte er darum gegeben, wenn Silvio Montini ihnen doch noch entkommen wäre! Dann müsste er nicht Zeuge dessen sein, was den Unglücklichen in der Folterkammer erwartete.
»Ich denke, Sodino ist nun mit den Vorbereitungen fertig, so dass wir mit der peinlichen Befragung unseres Verdächtigen beginnen können«, sagte Tiberio Scalvetti gleichmütig, so als stünde ihnen eine gemütliche Plauderei mit dem Mann bevor.
Sodino war der Folterknecht, ein breitschultriger Mann mit einem grobschlächtigen Gesicht, das seinem fürchterlichen Handwerk entsprach, und fast schulterlangem, fettigem Haar.
»Ist das denn wirklich nötig?«, fragte Pater Angelico beinahe beschwörend, und das nicht zum ersten Mal. »Der Mann ist ein einfacher Färber, Commissario!«
»Sagt er!«
»Auf jeden Fall ist er ein armseliger Tagelöhner, bei dem es sich unmöglich um den Mörder handeln kann!«
»Das mag schon sein. Aber ebenso gut kann er ein Handlanger sein. Wer weiß, was wirklich in ihm steckt und ob er nicht doch etwas Nützliches preiszugeben hat«, erwiderte Scalvetti ungerührt. »Wir werden es gleich erfahren.«
»Aber Ihr wisst doch selbst nur zu gut, dass letztlich fast jeder unter der Folter zugibt, was man ihm vorwirft«, appellierte Pater Angelico an den gesunden Verstand von Tiberio Scalvetti, der als Mann der Otto di Guardia über langjährige Erfahrung mit der Marter verfügte.
»Seid versichert, dass ich mich auf mein Geschäft so gut verstehe wie Ihr Euch aufs Beten und auf das Führen eines Pinsels. Ich weiß sehr wohl, wie sich ein falsches Geständnis vermeiden lässt«, beschied ihn Scalvetti und öffnete die Tür zur Folterkammer. Dann wandte er sich noch einmal zu Pater Angelico um. »Aber wenn Ihr es vorzieht, nicht zugegen zu sein und oben zu warten, könnt Ihr das gerne tun. Ich würde es Euch auch nicht als Schwäche auslegen, Pater.«
Wortlos schüttelte der Mönch den Kopf. Er hätte nichts lieber getan, als den Kerkertrakt und die Folterkammer so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, doch diesem Verlangen durfte er nicht nachgeben. Noch hegte er die schwache Hoffnung, für den Färber etwas tun und zumindest mildernd auf den Commissario einwirken zu können. Deshalb musste er bleiben, wie sehr er diesen Ort und das, was hier geschah, auch verabscheute.
Tiberio Scalvetti nickte mit einem hintergründigen Lächeln, als wüsste er genau, was den Mönch bewegte. »Gut denn, bringen wir die Sache zum Abschluss«, sagte er und trat in den großen Raum, der von zwei Pechfackeln beleuchtet wurde.
Pater Angelico bemühte sich, die von den Wänden hängenden Folterinstrumente und die grässlichen Gerätschaften, die mitten im Raum standen, so weit wie möglich zu ignorieren. Aber dass sein Blick die Streckbank mit der Winde und den Stricken streifte, auf der er wenige Monate zuvor selbst gelegen hatte und mit entsetzlichem Schrecken wieder zu sich gekommen war, ließ sich nicht vermeiden. Sogleich überschwemmte ihn seine Erinnerung mit Bildern von all den anderen Marterinstrumenten, die nicht bewusst wahrzunehmen er so wild entschlossen gewesen war.
Übelkeit stieg in ihm auf, als der bekannte Geruch ihm entgegenschlug. Ihm war, als könne er das Blut riechen, das hier vergossen worden war, die Glut der Kohlenbecken, in denen die Zangen erhitzt wurden, das verbrannte Fleisch, das unsägliche Leid, das in diesem Raum erduldet worden war. Aus jeder Pore des rußgeschwärzten Mauerwerks schien dieser Geruch zu dringen.
»Wir sind so weit, Herr«, sagte der Folterknecht Sodino, der sich wie damals seine brusthohe Lederschürze umgebunden hatte. Sie trug reichlich Spuren seiner Arbeit: Schmutz, Brandflecken und getrocknetes Blut.
»Dann wollen wir unseren Gast nicht länger warten lassen«, erklärte Tiberio Scalvetti und trat vor Silvio Montini hin.
Dieser saß wimmernd auf einem schweren, kantigen Stuhl, der zwischen den beiden brennenden Fackeln an der kalten Wand stand. Armlehnen, Rückenteil, Sitzfläche, Füße – der Stuhl bestand ganz und gar aus dickem Eichenholz und war durch massive Winkeleisen an den vierkantigen Füßen mit dem Boden verschraubt. Sodino hatte dem Färber breite Lederriemen um
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