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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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sich nicht einlassen, deshalb ließ er seinen Dolch stecken. Ganz im Gegensatz zu Scalvetti, der unverzüglich blankgezogen hatte und soeben dem ersten Angreifer die Klinge über die Messerhand zog – schneller, als dieser der Bewegung zu folgen vermochte.
    Doch der Mönch brauchte eine Waffe, um sich die Meute vom Hals zu halten, also bückte er sich nach einem Schemel, der ihm von einem Flüchtenden vor die Füße gestoßen wurde, und riss ihn hoch. Gerade noch rechtzeitig, um den Messerstich eines vierschrötigen Mannes mit roter Knollennase abzuwehren. Die Klinge bohrte sich in die Sitzfläche des Hockers.
    Pater Angelico revanchierte sich, indem er dem Kerl mit aller Kraft seine Faust auf die Nase setzte und diese brach. Dem schmerzerfüllten Gebrüll des Mannes machte er einen Augenblick später ein Ende, zog er ihm doch den Schemel über den Schädel. Bewusstlos sackte der Kerl zu Boden, vor die Füße der Nachdrängenden, denen die Lust auf einen Kampf schnell verging, als sie sahen, dass sie dabei mehr zu verlieren als zu gewinnen hatten.
    Dennoch mussten der Commissario und Pater Angelico sich noch einiger weiterer wild entschlossener Messerstecher erwehren, die in ihrer Überheblichkeit glaubten, es mit ihnen aufnehmen zu können. Keiner von ihnen setzte einen Stich oder verletzte sie sonst irgendwie; stattdessen handelten sie sich selbst blutige Wunden ein, Rippenbrüche und mächtige Beulen am Kopf, die ihnen mitsamt den bohrenden Schmerzen unter der Schädeldecke noch lange erhalten bleiben würden. Die einzige nennenswerte Blessur, die Scalvetti davontrug, war eine schmerzende Stelle am linken Schienbein, wo ein böser Stiefeltritt ihn getroffen hatte. Im Gegenzug hatte er dem Tretenden mit einem lästerlichen Fluch einen Stich in den Oberarm verpasst.
    Trotz des wüsten Handgemenges verlor Pater Angelico den pockennarbigen Silvio Montini nicht aus den Augen. Er erwies sich als schlauer als all die anderen, die versucht hatten, zur Tür hinauszukommen oder sich ihnen in den Weg zu stellen. Auf halbem Weg zu ihnen besann er sich eines Besseren, machte kehrt, rannte zu dem Fenster, das in die hintere Wand eingelassen war, und entriegelte die hölzernen Schlagläden.
    »Der Kerl sucht das Weite durchs Fenster!«, rief Pater Angelico dem Commissario zu.
    »Schon gesehen«, schrie Scalvetti zurück. »Aber das wird ihm nichts nützen.« Denn inzwischen war der letzte ihrer Angreifer in die Flucht geschlagen.
    Hätten sie nicht einen Zickzackweg durch das Gewirr aus umgestürzten Tischen, Bänken und Schemeln nehmen müssen, wären sie des Mannes vielleicht noch in der Schenke habhaft geworden. So aber verloren sie kostbare Sekunden, die es Silvio Montini erlaubten, aus dem Fenster zu klettern und ins Freie zu springen.
    »Verdammt!« Scalvetti kam wegen seines schmerzenden Schienbeins nicht so schnell hinterher, wie es nötig gewesen wäre. »Setzt ihm nach und seht zu, dass Ihr ihn nicht aus den Augen verliert!«
    »Werde mein Bestes geben!«, rief Pater Angelico zurück, stieg durch das Fenster und nahm die Verfolgung auf.

27
    S ilvio Montini hatte einen Vorsprung von vielleicht dreißig, vierzig Schritten, der unter anderen Umständen ausgereicht hätte, ihn seinen Häschern entkommen und irgendwo zwischen den Behausungen am Flussufer untertauchen zu lassen. Aber der Nachthimmel war gegen ihn. Nur wenige Wolkenschleier zogen über Florenz hinweg, so dass viel Sternenlicht auf die Ebene am Arno fiel. Dazu kam der milchig helle Schein des fast vollen Mondes, der es dem Flüchtenden unmöglich machte, sich in finsteren Schatten spurlos aufzulösen. Dies wurde Silvio Montini schnell bewusst, und so änderte er seine Richtung. Statt auf die nächste Ansammlung von Schuppen und Unterkünften zuzuhalten, schlug er einen Haken und floh vom Flussufer weg in nordöstliche Richtung.
    Was es damit auf sich hatte, durchschaute Tiberio Scalvetti als Erster. »Hölle und Verdammnis, er will zu den Trümmern von San Bernardo«, keuchte er und versuchte tapfer, trotz der Schmerzen im Bein den Anschluss nicht zu verlieren. »Die alte Nekropolis, Pater! Er wird versuchen, uns durch die Katakomben zu entkommen!«
    »Mist«, entfuhr es Pater Angelico, als er begriff, was Silvio Montini vorhatte.
    Die Kirche San Bernardo war irgendwann im zehnten oder elften Jahrhundert über den flussnahen Katakomben erbaut worden, die noch aus frühchristlicher Zeit stammten und in späteren Jahrhunderten die Gebeine der überwiegend

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