Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
armen Bewohner des Borgo dei Tintori aufgenommen hatten. Der Baumeister von San Bernardo musste jedoch schwerwiegende Fehler in der Berechnung der Statik begangen oder minderwertiges Material verwendet haben. Womöglich hatte sich auch nur die Erde unter der Kirche gesenkt.
    Jedenfalls hatten sich schon kurz nach ihrer Einweihung die ersten Risse im Mauerwerk der Apsis und über dem Portal gezeigt. Versuche, die Schäden zu beheben, waren nicht von Erfolg gekrönt gewesen. An immer mehr Stellen hatten sich Spalten gefährlich weit aufgetan. Den Todesstoß hatte der Kirche schließlich ein eher schwaches Beben versetzt, das nirgendwo sonst in der Stadt Schaden anrichtete. Unter großem Getöse war das Gotteshaus, wie man sich erzählte, in sich zusammengestürzt.
    Das war allgemein als böses Zeichen gedeutet worden. Und weil auf San Bernardo Gottes Segen offenbar nicht gelegen hatte, waren die Trümmer lange Zeit unberührt geblieben. Keiner hatte die Steine für die Errichtung einer anderen Kirche oder eines Wohnhauses verwenden und den Zorn des Allmächtigen auf sich lenken wollen. Viel später erst war der Großteil des Materials abgetragen und an anderer Stelle verbaut worden.
    Seitdem lag der Zugang zu den uralten Katakomben wieder frei, und sie waren schnell zur Zuflucht für Bettler, Verstoßene, geistig Verwirrte und andere Elende geworden, die nirgends sonst in der Stadt geduldet wurden und im Winter keinen besseren Schutz vor Kälte und Regen fanden. In der Zwischenzeit hatten diese Leute sich drei weitere Aus- oder Zugänge gegraben, um dort unten in der Nekropolis nicht in der Falle zu sitzen, wenn Gefahr im Verzug war.
    Dass der Commissario mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte, wurde schnell deutlich, als Silvio Montini zielstrebig auf das einstige Kirchengelände zuhielt. Dort lag noch immer eine Menge Bauschutt herum, der jedoch im Laufe der Jahre von Gras, hochschießendem Unkraut und genügsamem Gestrüpp überwuchert worden war.
    »Bei Gott, das hat mir diese Nacht gerade noch gefehlt«, stieß Pater Angelico grimmig hervor, als er sah, wie Silvio Montini über den Rest einer geborstenen Säule sprang – und im nächsten Moment aus seinem Blickfeld verschwunden war.
    Er hatte sich noch nie in die Katakomben gewagt und auch keinerlei Grund dazu gehabt. Während er nun zu dem Säulentorso rannte, überlegte er kurz, ob er die Verfolgung nicht einfach abbrechen und es dem Commissario überlassen sollte, den Kerl dort wieder herauszubekommen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es noch drei weitere Ausgänge gab, von denen er nicht wusste, wo genau sie an die Oberfläche traten, hätte er das für feige und seiner nicht würdig gehalten.
    »Nehmt den linken Gang, wenn Ihr unten seid und zur Gabelung des Tunnels kommt!«, brüllte ihm Scalvetti aus zehn, zwölf Schritten Entfernung zu. »Ich suche den rechten ab!«
    Absuchen? Ja, womit denn, Scalvetti? Vielleicht mit Geistesblitzen, dachte der Mönch grantig. Einen Augenblick später stand er vor dem Zugang, durch den Silvio Montini abgetaucht war, und sah flackerndes Licht aus dem Dunkel aufsteigen. Natürlich, wer immer sich dort unten verkroch, hockte nicht in permanenter Finsternis in den Gewölben, sondern verschaffte sich durch ein paar Talglichter oder ein Feuer zumindest ein Minimum an Helligkeit zwischen all dem Gebein.
    Kurz entschlossen wagte er sich in den dunklen Schlund. Von den Stufen der einstigen Treppe waren nur noch wenige Reststücke vorhanden, und so rutschte er mehr, als dass er die schräg abwärts führende Bahn aus Erdreich und losem Gestein hinunterstieg. Ihm war, als ginge es bis in den Hades hinab.
    Bröckliges Mauerwerk umfing ihn, als er endlich unten angelangt war und sich in einem Eingangsgewölbe wiederfand. Es lag verlassen vor ihm, doch an zwei Stellen brannten in primitiven Feuerringen aus aufgeschichteten Steinen kleine Holzfeuer. Neben den Feuerstellen lagen Lumpensäcke, halb kaputte Tonkrüge, kleine Haufen Brennholz und anderes klägliches Hab und Gut der Bewohner dieser Dunkelwelt verstreut.
    Er hastete weiter, hinein in einen breiten, gut mannshohen, aus Ziegelsteinen gemauerten Gang mit gewölbter Decke und dem nächsten flackernden Lichtschein entgegen. Zehn, fünfzehn Schritte weiter stieß er auf die ersten seitlichen Nischen. Vage machte er darin aufgeschichtete Knochen und Totenschädel aus.
    Er rannte weiter, kam um eine Biegung und sah sich plötzlich einer Gruppe von schemenhaften

Weitere Kostenlose Bücher