Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
beweiserheblichen Dinge gestoßen?«
James überlegt kurz. »Ja und nein. Sarah kommt in ein weiteres Heim, und das endet nicht gut. Sie macht schlimme Erfahrungen, wird sexuell missbraucht. Aus ermittlungstechnischer Sicht gibt es drei Bereiche, die wir genauer untersuchen müssen, basierend auf Sarahs Tagebuch. Da wäre das erste Verbrechen der Mordserie, die Ermordung ihrer Eltern. Dann die Polizistin, die sich für Sarah interessiert hat, diese Cathy Jones. Sie verschwindet irgendwann, und Sarah weiß nicht warum. Und schließlich wären da noch die früheren Opfer des Künstlers, der Dichter und der Philosophiestudent, die er Sarah gegenüber erwähnt hat.«
»Okay«, sage ich. »Reden wir über das Motiv. Rache. Oder ist jemand anderer Meinung?«
»Nein«, sagt Alan. »Die Frage ist nur, Rache wofür? Und was hat Sarah mit alledem zu tun?«
»Die Sünden der Väter«, sage ich.
Alle sehen mich verwirrt an. Ich erzähle ihnen von meinen Schlussfolgerungen der letzten Nacht.
»Interessant«, murmelt Callie. »Etwas, das der Großvater getan hat … Möglich wär’s.«
»Betrachten wir das Gesamtbild. Dieser Künstler hat zu Sarah gesagt, dass er sie ›nach seinem Ebenbild neu formen‹ will. Er bezeichnet sie als seine Skulptur und gibt ihr sogar einen Titel: ›Ein zerstörtes Leben.‹ Was sagt uns das?«
»Wenn er Sarah nach seinem Bild formen will, meint er, dass sein Leben zerstört wurde«, sagt Alan.
»Genau. Also entwickelt er einen langfristigen Plan. Nicht den Plan, Sarah zu töten, sondern sie emotional zu zerstören. Das ist verdammt pathologisch. Es verrät uns, dass unser Freund von seiner Mommy nicht bloß ignoriert wurde. Ihm wurde etwas angetan, etwas sehr Schlimmes, auf das es für ihn nur eine Antwort gibt: Das Leben eines kleinen Mädchens zu vernichten. Was meint ihr?«
»Nach diesem ›Ebenbild‹-Konzept zu urteilen«, sagt Alan,»wurde er in jungen Jahren zum Waisen gemacht. Deshalb hat er Sarahs Eltern getötet.«
»Gut möglich. Was noch?«
»Wahrscheinlich ist dieser Künstler in einer wenig liebevollen Umgebung aufgewachsen«, sagt James. »Er hat alles und jeden zerstört oder getötet, das eine Stütze für Sarah hätte werden können. Er hat das Mädchen völlig isoliert.«
»Sehr gut. Weiter.«
»Außerdem«, fährt James fort, »können wir davon ausgehen, dass er sexuell missbraucht wurde.«
»Worauf stützt du diese Annahme?«
»Es ist eine Schlussfolgerung. Er war Waisenkind, ohne emotionalen Halt, und geriet in die falschen Hände. Statistisch gesehen bedeutet das mit hoher Wahrscheinlichkeit, er wurde sexuell missbraucht.«
»Callie? Hast du etwas hinzuzufügen?«, frage ich.
Ihr Lächeln ist geheimnisvoll. »Ja. Aber für den Augenblick möchte ich lediglich James beipflichten. Ich werde erst etwas sagen, wenn alle anderen fertig sind.«
Ich blicke sie stirnrunzelnd an. Sie lächelt bloß.
»Also wurde der Künstler zum Waisen gemacht und missbraucht«, fahre ich fort. »Die Frage lautet: Wofür will er Rache? Dafür, dass er zum Waisen wurde? Oder dafür, dass er missbraucht worden ist? Oder für beides? Und warum so viele verschiedene Opfer?«
»Ich verstehe nicht …«, sagt Alan.
»Wir haben Sarah als lebendes Opfer, eine Art symbolische Empfängerin seiner Rache. Wenn wir diesen Gedankengang weiter verfolgen, sind die Kingsleys nebensächlich und austauschbar. Es war ihr Pech, dass sie Sarah adoptiert hatten. Aber wir haben nicht nur die Kingsleys, sondern auch – nach Sarahs Schilderung – einen Dichter und einen Philosophiestudenten. Warum gerieten sie in die Schusslinie? Und warum gibt es unterschiedliche Mordmethoden bei ihnen und bei Vargas?«
Alan schüttelt den Kopf. »keine Ahnung.«
»Vargas erhielt die gleiche Behandlung wie die Kingsleys«, meint James. »Ihm wurde die Kehle durchschnitten, und er wurde ausgeweidet. Grauenhaft, aber nicht die schmerzvollste Art zu sterben. Mit dem Dichter und dem Philosophen scheint es anders gewesen zu sein. Offenbar sind sie sehr langsam und qualvoll gestorben. Das gilt auch für Sam und Linda Langstrom. Es war weder schnell noch schmerzlos.«
»Du meinst, er ändert seine Mordmethode basierend auf der Schwere des Vergehens, das sein Opfer begangen haben?«, fragt Callie.
»Er glaubt, dass er Gerechtigkeit übt. Nach diesem Muster verdient nicht jedes Verbrechen die gleiche Bestrafung.«
Alan nickt. »Okay. Nennen wir sie primäre und sekundäre Opfer. Demzufolge wären Vargas und die
Weitere Kostenlose Bücher