Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
den Verstand verliert. Dass ich nicht da sein könnte, wenn sie mich braucht.«
»Und?«, hakt Elaina nach. Sie drängt mich, das wahre Entsetzen in Worte zu fassen, den Dämon in der dunklen Grube beim Namen zu nennen.
»Dass sie sterben könnte, kapierst du denn nicht?«, sage ich ungewollt schnippisch und bedaure es beinahe sofort. »Entschuldige.«
Elaina lächelt, um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. »Ich kann deine Angst verstehen, Smoky. Du hast ein Kind verloren. Du weißt, dass es passieren kann. Herrgott, Bonnie wäre fast vor deinen Augen gestorben.« Eine sanfte Berührung, ihre Hand auf meiner. »Ich kann deine Angst sehr gut verstehen.«
»Aber sie macht mich schwach«, sage ich kläglich. »Angst ist Schwäche. Aber Bonnie braucht eine starke Beschützerin.«
Ich schlafe mit einer durchgeladenen Pistole in meinem Nachttisch. Das Haus ist bis unter die Decke voll mit Alarmanlagen. Und um den massiven Riegel an der Eingangstür zu durchtrennen, würde ein Eindringling eine ganze Stunde benötigen. Das alles hilft zwar ein wenig, kann die Angst aber nicht verbannen.
Elaina mustert mich mit einem scharfen Blick und schüttelt den Kopf. »Nein. Bonnie braucht deine Anwesenheit. Deine Liebe. Sie braucht eine Mutter, keine Superheldin. Die wirklichen Menschen sind nun mal kompliziert und imAllgemeinen nicht so, wie wir es uns wünschen, aber wenigstens sind sie da.«
Elaina ist die Frau von Alan, einem Mitglied meines FBI-Teams. Sie ist eine wunderschöne Latina mit melancholischen Augen und sanft geschwungenen Kurven. Doch ihre wahre Schönheit kommt aus dem Herzen. Sie besitzt eine resolute Sanftheit, die einem Schutz und Sicherheit, Liebe und Hingabe verspricht, alles zur gleichen Zeit.
Letztes Jahr haben die Ärzte bei ihr Dickdarmkrebs im zweiten Stadium diagnostiziert. Sie wurde operiert, der Tumor entfernt, gefolgt von Bestrahlungen und Chemotherapie. Sie hält sich tapfer, doch sie hat ihre Haare verloren, ihr dichtes, prachtvolles Haar. Sie trägt diesen Schicksalsschlag auf die gleiche Weise, wie ich meine Narben zu tragen gelernt habe: unverhüllt und für alle sichtbar. Ihr Kopf ist kahl, doch sie versteckt ihn nicht unter einer Bandana oder einem Hut. Doch ich frage mich, ob der Schmerz über diesen Verlust sie trotz ihrer Stärke manchmal aus heiterem Himmel trifft, so wie die Abwesenheit von Matt und Alexa mich bisweilen trifft.
Wahrscheinlich nicht. Für Elaina ist der Verlust ihrer Haare zweitrangig im Vergleich zu der Freude am Leben. Das macht einen Teil ihrer Stärke aus.
Elaina kam mich besuchen, nachdem Sands mir meine Familie genommen hatte. Sie platzte in mein Krankenzimmer, schob die Schwester beiseite und warf sich mit ausgebreiteten Armen über mich. Diese Arme umfingen mich und hielten mich wie Engelsflügel. Ich zersprang in diesen Armen, weinte Ewigkeiten an ihrer Brust. Sie war in diesem Moment meine Mutter und meine Retterin, und dafür werde ich sie immer lieben.
Sie drückt meine Hand. »Ich kann verstehen, dass du so empfindest, Smoky«, sagt sie. »Du könntest nur dann frei von Angst sein, würdest du Bonnie nicht so lieben, aber dazu ist es längst zu spät.«
Meine Kehle schnürt sich zusammen, und meine Augen brennen. Elaina hat recht. Diese Wahrheit ist hässlich und wunderbar und unabwendbar zugleich: Ich muss mit meiner Angst leben, weil ich Bonnie liebe. Ich müsste nur aufhören, sie zu lieben, und die Angst würde verschwinden.
So weit wird es nie kommen.
»Wird es irgendwann besser?«, frage ich sie und stoße einen entmutigten Seufzer aus. »Ich will nicht, dass Bonnie etwas davon merkt.«
Elaina nimmt meine Hände und betrachtet mich mit ihrem unerschütterlichen Blick. »Wusstest du eigentlich, dass ich ein Waisenkind war, Smoky?«
Ich blicke sie erstaunt an.
»Nein.«
Sie nickt. »Ich war Waise. Mein Bruder Manuel und ich, wir waren beide Waisenkinder. Mama und Papa starben bei einem Autounfall. Wir wurden von Abuela aufgezogen, meiner Großmutter. Eine großartige Frau. Ich meine das buchstäblich. Sie hatte wahre Größe. Sie hat sich nie beschwert, kein einziges Mal.« Ihr Lächeln wird melancholisch. »Und Manuel … er war ein wunderbarer Junge. Gutherzig und warm. Doch er war auch schwach. Er war immer der Erste, der sich eine Erkältung oder Grippe eingefangen hat und der Letzte, der wieder gesund wurde. Eines Tages im Sommer nahm Großmutter Abuela uns mit nach Santa Monica Beach. Manuel geriet in eine Unterströmung. Er
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