Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Ich habe die Menschen hier geliebt. Meine Familie. Ich lasse mir das nicht von Joseph Sands wegnehmen.«
Ich kann den Ausdruck in Callies Augen nicht deuten. Traurigkeit. Schuld. Sehnsucht?
»Das ist der Unterschied zwischen uns, Smoky«, sagte sie. »Ich hatte einen einzigen schlimmen Augenblick als Teenager. Ich schlafe ein einziges Mal mit dem falschen Jungen, werde schwanger und muss mein Kind aufgeben. Danach achte ich peinlich darauf, nie wieder eine leidenschaftliche Beziehung einzugehen. Du wirst in diesem Bett vergewaltigt, doch die stärksten Erinnerungen für dich sind die Augenblicke, die duhier mit Matt und Alexa geteilt hast. Ich bewundere deinen Optimismus. Ich bewundere ihn wirklich.« Ihr Lächeln ist melancholisch.
Ich antworte nicht, denn ich kenne meine Freundin. Tröstende Worte wären nur peinlich, beinahe so etwas wie Verrat. Ich bin hier, damit sie diese Dinge sagen kann und weiß, dass jemand sie gehört hat. Nicht mehr und nicht weniger.
»Weißt du, was ich vermisse?«, fragt sie. »Matts Tacos.«
Ich sehe sie überrascht an und muss lachen.
»Die waren lecker, nicht wahr?«
»Ich träume manchmal von diesen Tacos«, sagt Callie mit einem melodramatischen Ausdruck von Sehnsucht in den Augen.
Ich könnte nicht einmal dann kochen, wenn mir jemand eine Pistole an den Kopf hält. Ich würde sogar Wasser anbrennen lassen, wie man so sagt. Wie bei allen Dingen, war Matt auch auf diesem Gebiet der Gründliche. Er kaufte Kochbücher, probierte und experimentierte, und in neun von zehn Fällen waren die Ergebnisse erstaunlich gut.
Er hatte gelernt – ich weiß nicht mehr, von wem –, wie man Tacos selber macht. Nicht das klebrige Zeug, das man zum Fertigbacken im Laden kaufen kann, sondern richtige Selbstgemachte. Man fängt mit einer Tortilla an und verwandelt sie nach und nach in eine halbmondförmige Köstlichkeit. Matt hatte irgendein Gewürz für das Hackfleisch, das mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Callie ebenfalls. Sie isst für ihr Leben gern, und sie hatte sich drei- oder viermal im Monat zu uns zum Abendessen eingeladen. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie Tacos in sich hineinstopft und mit vollem Mund redet. Ich höre noch, wie sie etwas sagt, das Alexa zum Kichern bringt, bis sie sich an ihrer Milch verschluckt und alles aus der Nase prustet, was der absolute Höhepunkt der Albernheiten war.
»Danke«, sage ich.
Sie weiß, was ich meine. Danke für diese Erinnerung, dieses vergessene Stück bittersüßer Vergangenheit, diesen Schlag in den Unterleib, der weh tut und sich zugleich wunderbar anfühlt.
Das ist Callie. Sie wirbelt ganz nah an mich heran, umarmt meine Seele, und dann wirbelt sie wieder davon, geht hochmütig auf Distanz.
Sie steht von meinem Bett auf, geht zur Tür, blickt zu mir zurück und lächelt ein spitzbübisches Lächeln.
»Weißt du was? Du brauchst keine Mausefalle. Du musst nur die Donuts mit irgendetwas präparieren. Ich esse die Donuts immer.«
KAPITEL 5
»Wie geht es dir, Smoky?«
Elaina stellte mir diese Frage. Sie ist vor ungefähr zwanzig Minuten erschienen, und nachdem die erforderlichen Umarmungen mit Bonnie abgeschlossen sind, hat sie mich beiseite genommen. Jetzt sitzen wir allein in meinem Wohnzimmer. Elaina sieht mich fest an, durchbohrt mich förmlich mit dem Blick aus ihren braunen Augen. »Und ich will eine ernsthafte Antwort«, sagt dieser Blick.
»Meistens gut, manchmal schlecht«, sage ich ohne zu zögern. Es ist mir noch nie in den Sinn gekommen, Elaina gegenüber unaufrichtig zu sein. Sie ist einer jener seltenen Menschen, die warmherzig und stark zugleich sind.
Ihr Blick wird weicher. »Erzähl mir von dem Schlechten«, sagt sie.
Ich versuche Worte zu finden für meinen neuen Dämon, jenen Teufel, der durch meine Träume tobt, während ich schlafe. Früher habe ich von Joseph Sands geträumt, der mich kichernd und glucksend wieder und wieder vergewaltigt und meine Familie lächelnd und augenzwinkernd ermordet. Doch Sands ist verblasst; heute drehen die Albträume sich um Bonnie. Ichsehe sie auf dem Schoß eines Irren, ein Messer an der Kehle. Ich sehe sie auf einem weißen Teppich, ein Kugelloch in der Stirn, und unter ihr breitet sich ein purpurner Engel aus.
»Angst. Es ist die Angst.«
»Weswegen?«
»Wegen Bonnie.«
Elainas Stirn glättet sich. »Du machst dir Sorgen, ihr könnte etwas zustoßen.«
»Es sind keine Sorgen. Es ist Angst. Ich habe Angst, dass sie nie wieder sprechen könnte und irgendwann
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