Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Freeway 118 nach Osten. Die Straße ist belebt, jedoch nicht verstopft, ein Dauerzustand auf den Freeways von Los Angeles.
Ich bin nervös, schlecht gelaunt und düsterer Stimmung. Dieser Tag geht mehr und mehr vor die Hunde.
»Wieso ausgerechnet du?«, fragt Callie und stört mich in meiner Selbstmitleid-Party.
»Wieso ausgerechnet ich was? «
»Wieso hat der Böse Mann ausgerechnet dich angerufen?«, will sie wissen.
Ich denke darüber nach.
»Vielleicht hat er es geplant, aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube eher, er war dort.«
»Wie bitte?«
»Ich glaube, er war dort. Er hat uns beobachtet. Er hat uns kommen sehen, und er hat mich erkannt.«
Es ist ein Hauptthema bei der Ermittlungsarbeit und im Profiling, dass Täter zum Ort ihres Verbrechens zurückkehren. Die Gründe dafür sind endlos. Beispielweise möchte der Täter herausfinden, wie die Ermittlungen vorangehen. Oder er will die Erfahrung des Tötens noch einmal durchleben. Macht spüren.
»Ich glaube, er hat von Anfang an vorgehabt, uns über das zweite Verbrechen zu informieren. Er hat beschlossen, amTatort herumzuhängen, zu sehen, was passiert, und uns dann anzurufen. Zufällig waren wir am Tatort.«
»Und dabei hat er dich erkannt.«
»Leider«, sage ich seufzend.
»Barry hat den Blinker gesetzt. Wir müssen hier abfahren.«
Barry kennt die Gegend, in die wir fahren. Die Adresse ist ein Wohnblock.
»Kein Drecksloch, aber auch nichts Großartiges«, hat er gesagt. »Ich hatte dort vor vier Jahren mal einen Fall von Selbstmord.«
Ich fahre ihm hinterher, und wir biegen nach rechts auf den Sepulveda Boulevard ab. Hier herrscht mehr Betrieb als auf dem Freeway. Es ist Samstagabend; die Leute sind unterwegs in die Restaurants und Bars. Das Hamsterrad des Lebens in der großen Stadt dreht sich.
»Ich frage mich, ob dieser Tatort frischer ist als der letzte«, sagt Callie. »Meinst du, er lässt die Sau raus? Eine ganze Nacht lang?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Callie. Dieser Typ ist mir ein Rätsel. Er zerstückelt die Eltern, lässt den Sohn aber unversehrt, die Tochter sogar am Leben. Er bemalt ein Zimmer mit ihrem Blut, plant aber gut genug voraus, seine Opfer vorher unter Drogen zu setzen. Auf der einen Seite erscheint er psychopathisch und desorganisiert, auf der anderen Seite zielgerichtet und kontrolliert. Es ist ganz merkwürdig.«
Sie nickt. »Das Schwimmen im Pool war impulsiv.«
Killer sind Menschen, und Menschen sind komplex. Doch im Laufe der Jahre haben wir gelernt, dass es Muster gibt, nach denen wir suchen können. Sämtliche Serienkiller werden angetrieben vom Zwang zu töten. Das Wie und Warum jedoch kann Welten auseinanderliegen.
Organisierte Killer, die Ted Bundys dieser Welt, folgen im Allgemeinen einem Plan. Sie sind die Eis-Männer, die mit dem Durchblick. Sie sind besonnen und kaltblütig bis zumAugenblick des eigentlichen Aktes. Sie verspüren nicht unbedingt den Zwang, ihre Opfer zu entpersönlichen, und sie können wunderbare Schauspieler sein, die sich unauffällig unter uns andere mischen, ohne dass wir etwas von ihren perversen Neigungen ahnen.
Desorganisierte Killer sind ein anderes Kapitel. Sie sind wie Jeffrey Dahmer oder David Berkowitz, der »Son of Sam«. Sie haben Schwierigkeiten, sich an andere anzupassen. Häufig fallen sie ihren Nachbarn oder Kollegen durch eigenartiges Verhalten auf. Es fällt ihnen schwer, ihre Zwänge zu kontrollieren; daher haben sie Mühe, sich an einen längerfristigen Plan zu halten. In der Methodologie des desorganisierten Killers finden sich willkürliche Opfer und aberwitzige Verstümmelungen. Es ist das Reich von Kannibalismus und von Frauen mit abgetrennten Brüsten oder zerfetzten Genitalien.
Oder von Ehemann und Ehefrau, ausgenommen wie erlegtes Wild.
Das Ausweiden steht für Ekstase, Raserei, Wahnsinn. Die bewusste Entscheidung , Sarah am Leben zu lassen, wäre höchst ungewöhnlich für einen Killer in diesem emotionalen Zustand. Und doch hat er genau das getan.
»Er scheint einen Plan zu verfolgen«, sagt Callie. »Vielleicht liegen die Dinge nicht so einfach, wie es scheint.«
»Sarahs Worte deuten darauf hin, dass sie sein eigentlich beabsichtigtes Opfer ist. Warum also so viel Gewalt gegen die anderen? Das passt nicht zusammen.«
»Noch nicht.«
Callie hat recht. Am Ende fügt sich alles zusammen. So ist es immer. Serienkiller werden vielleicht nicht immer gefasst, doch sie sind niemals originell – nicht, wenn man betrachtet, was sie
Weitere Kostenlose Bücher