Der Todeswirbel
Ungeduld zurück.
Warum sie nur immer von mir als ihrem Töchterchen redet, dachte sie ärgerlich. Es klingt so albern.
Sie ging hinunter und betrat das Speisezimmer.
Es gab kein besonders gutes Frühstück. Aber das erbi t terte Lynn weniger als die Feststellung, wie viel Kraft und Zeit in ihrem Elternhaus auf die Nahrungsbeschaffung verschwendet wurde. Abgesehen von einer wenig zuve r lässigen Frau, die viermal wöchentlich einen halben Tag helfen kam, quälte sich Mrs Marchmont allein mit dem Haushalt ab. Sie war beinahe vierzig Jahre alt gewesen, als Lynn geboren wurde, und um ihre Gesundheit war es nicht allzu gut bestellt. Es kam Lynn mit zunehmendem Unbehagen zu Bewusstsein, wie sehr sich auch die fina n zielle Lage daheim geändert hatte. Das nie besonders hohe, aber absolut ausreichende Einkommen, das ihnen vor dem Krieg gestattet hatte, ein angenehm sorgloses Leben zu führen, wurde durch die Steuern beinahe um die Hälfte geschmälert. Die Ausgaben aber waren alle gestiegen.
Schön sieht es aus in der Welt, dachte Lynn grimmig. Sie überflog die Stellengesuche in der Zeitung. »Demob i lisierter Soldat sucht Posten, der Initiative und Fahrau s weis verlangt.« – »Ehemalige Frauenhilfsdienstlerin sucht Anstellung, wo ihr ausgeprägtes Organisationstalent und die Fähigkeit, Aufsicht zu führen, von Nutzen sein kön n ten.«
Unternehmungslust, Organisationstalent, Initiative – das wurde angeboten. Doch was wurde verlangt? Frauen, die kochen und putzen konnten oder geübte Stenotypi s tinnen waren.
Nun, sie brauchte sich in dieser Beziehung keine grauen Haare wachsen zu lassen. Ihr Weg lag klar vor ihr. Sie würde ihren Vetter Rowley Cloade heiraten. Vor sieben Jahren, kurz vor Ausbruch des Krieges, hatten sie sich verlobt. Solange sie zurückdenken konnte, war es selbs t verständlich gewesen, dass sie eines Tages Rowley heir a ten würde. Seine Liebe zum Landleben und der Arbeit auf einer Farm hatte sie stets geteilt. Ein gutes Leben lag vor ihnen, kein sehr abenteuerliches oder aufregendes Leben, sondern Tage erfüllt von harter Arbeit, aber sie liebten beide die Natur und den Duft der Wälder und Wiesen sowie die Pflege der Tiere.
Ihre Aussichten waren allerdings nicht mehr so rosig wie früher einmal. Onkel Gordon hatte stets versprochen gehabt Mrs Marchmont unterbrach Lynns Gedanke n gang.
»Es war ein schrecklicher Schlag für uns, Lynn, wie ich dir ja schon geschrieben habe. Gordon war gerade zwei Tage in England. Wir hatten ihn noch nicht einmal ges e hen. Wenn er nur nicht in London geblieben, sondern geradewegs hierher gekommen wäre!«
»Ja, wenn…«
Als Lynn fern von daheim die Nachricht vom Tod ihres Onkels erreichte, hatte sie Kummer und Entsetzen bei ihr ausgelöst. Welche Folgen für sie alle jedoch mit dem A b leben Gordon Cloades verbunden waren, begann ihr erst jetzt klar zu werden.
Solange sie sich erinnern konnte, hatte Gordon Cloade in ihrem Leben – und auch im Leben der anderen Famil i enmitglieder – eine hervorragende Rolle gespielt. Der wohlhabende, reiche Mann hatte sich stets seiner gesa m ten Verwandtschaft angenommen und bestimmend in ihr Schicksal eingegriffen.
Selbst Rowley bildete da keine Ausnahme. Er hatte mit seinem Freund Johnnie Vavasour zusammen eine Farm übernommen, und Gordon, der selbstverständlich um Rat gefragt worden war, hatte der Übernahme zug e stimmt.
Lynn gegenüber hatte er sich deutlicher geäußert.
»Um eine Farm rentabel zu bewirtschaften, braucht man Kapital, aber ich möchte erst einmal sehen, ob die beiden jungen Männer wirklich das Zeug dazu haben, tüchtige Farmer zu werden. Würde ich ihnen jetzt Geld zuschießen, wäre es ein Leichtes für sie, aber ich könnte nie beurteilen, wie weit ihre eigene Leistungsfähigkeit und ihr Durchhaltevermögen gehen. Lasse ich sie jetzt aber ihre Probleme allein durchkämpfen, und ich sehe nach einer gewissen Zeit, dass es ihnen ernst ist und dass sie gewillt sind, ihre ganze Kraft einzusetzen, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Lynn, dann werde ich ihnen mit dem nötigen Kapital unter die Arme greifen. Hab keine Angst vor der Zukunft, Mädchen. Du bist die richtige Frau für Rowley, das weiß ich. Aber behalte das, was ich dir eben gesagt habe, für dich.«
Sie hatte Wort gehalten und keine Silbe von dem G e spräch verlauten lassen, doch Rowley hatte ohnehin das wohl wollende Interesse gespürt, das der Onkel seinem Unternehmen entgegenbrachte. Es war an ihm, dem alten
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