Der Tote am Steinkreuz
hatte. Eber war der Fürst des Gebiets, aus dem Archú und sein mitleidsloser Vetter gekommen waren, um ihr Gericht anzurufen.
»Sprich weiter«, sagte sie schuldbewußt, denn Beccan hatte wieder innegehalten, als er merkte, daß ihre Gedanken abschweiften.
»Der Bote berichtete, daß Eber und eine seiner Verwandten ermordet worden seien. Jemand wurde am Tatort gefaßt.«
»Was hat das mit mir zu tun?« fragte Fidelma.
Beccan machte eine entschuldigende Geste.
»Ich bin im Auftrage deines Bruders auf dem Wege nach Ros Ailithir. Es ist eine dringende Angelegenheit, und ich kann mir nicht die Zeit nehmen, nach Araglin zu gehen und eine ordentliche Untersuchung anzustellen. Dein Bruder, der König, legt Wert darauf, daß der Fall sofort untersucht und Recht gesprochen wird. Eber von Araglin war immer ein guter Freund von Cashel, und dein Bruder hält es für angebracht …«
Den Rest konnte sich Fidelma denken.
»Daß ich nach Araglin gehe«, schloß sie den Satz mit einem Seufzer. »Nun, hier bin ich fertig. Morgen wollte ich zu meinem Bruder nach Cashel. Es spielt wohl keine große Rolle, ob ich dort ein oder zwei Tage später ankomme. Aber ich verstehe nicht so ganz, was es in Araglin noch zu untersuchen gibt, wenn der Schuldige schon gefaßt ist, wie du sagst. Bestehen denn Zweifel an seiner Schuld?«
Beccan schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Nicht, daß ich wüßte«, versicherte er ihr. »Mir wurde berichtet, der Mörder sei mit einem Dolch in der Hand und in blutbefleckter Kleidung gefaßt worden, wie er sich über die Leiche Ebers beugte. Dein Bruder jedoch …«
Fidelma schnitt eine Grimasse.
»Ich weiß. Eber war ein Freund Cashels, und Gerechtigkeit muß fair geübt werden.«
»Es gibt keinen Brehon in Araglin«, warf Abt Cathal ein, um die Situation zu erklären. »Es geht mehr darum, für ein ordentliches Gerichtsverfahren zu sorgen.«
»Gibt es Grund zu der Annahme, daß es das nicht geben könnte?«
Abt Cathal breitete die Hände aus, als hielte er die Frage für nicht so eindeutig zu beantworten.
»Nach allem, was man hört, war Eber ein sehr beliebter Fürst und stand im Rufe der Freundlichkeit und Großzügigkeit. Anscheinend mochten ihn seine Leute. Es könnte die Neigung bestehen, den Schuldigen zu bestrafen, ohne sich genau an das Recht und den Buchstaben des Gesetzes zu halten.«
Fidelma begegnete einen Moment seinem besorgten Blick. Cathal kannte die Bergbewohner rings um Lios Mhór besser als andere, denn er gehörte zu ihnen. Sie nickte kurz zum Zeichen, daß sie seine Besorgnis verstand.
»Ich habe bei meiner Gerichtsverhandlung erlebt, daß zumindest ein Mann vom Stamme Araglin wenig Achtung vor dem Gesetz besitzt«, erinnerte sie sich. »Erzähl mir mehr von den Menschen von Araglin, Pater Abt.«
»Da gibt es wenig zu berichten. Sie sind ein eng verbundenes Volk, das im allgemeinen für Außenstehende nicht viel übrig hat. Ebers Stamm lebt hauptsächlich in den Bergen um eine Ansiedlung herum, die der rath des Fürsten von Araglin genannt wird. Seine Ländereien erstrecken sich nach Osten am Fluß Araglin, der das Tal durchzieht. Es ist reiches Ackerland. Ebers Stamm hält zusammen und mißtraut allen Fremden. Es wird für dich keine leichte Aufgabe sein.«
»Du sagtest, sie haben keinen Brehon? Haben sie wenigstens einen Priester?«
»Ja, Pater Gormán wohnt im rath. Dort gibt es eine Kapelle, die Cill Uird genannt wird, die Kirche des Rituals. Er lebt seit zwanzig Jahren unter den Leuten von Araglin. Ausgebildet wurde er hier in Lios Mhór. Er wird dir sicher wertvolle Hilfe leisten können, obgleich er gewisse dogmatische Ansichten über die Verbreitung des Glaubens hat, über die du wahrscheinlich anderer Ansicht bist.«
»Wie das?« erkundigte sich Fidelma interessiert.
Cathal antwortete mit einem entwaffnenden Lächeln.
»Ich meine, es ist besser, wenn du das selbst herausfindest, damit ich dich nicht beeinflusse.«
»Ich vermute, er befürwortet die römischen Gebräuche«, seufzte Fidelma.
Abt Cathal verzog das Gesicht.
»Du besitzt viel Scharfblick, Schwester. Ja, Pater Gormán gibt den römischen Sitten den Vorzug vor unseren einheimischen. Er erhält dabei einige Unterstützung, denn er hat in Ard Mór eine römische Kapelle erbaut, die durch ihre Pracht Berühmtheit erlangt. Pater Gormán scheint über reiche Anhänger zu verfügen.«
»Dennoch wohnt er immer noch an einem so einsamen Ort wie Cill Uird«, bemerkte Fidelma. »Das ist
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