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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hatte sie ihn unterbrochen. Er hatte die Hand gegen die Abendsonne gehalten, nur um ein wenig Zeit zu gewinnen, denn er konnte die Kirchtürme der Stadt nie auseinander halten. «Der mittlere», hatte er schließlich behauptet. Er hatte sich geirrt, aber das machte nichts. Als sie der Stadt näher kamen, das Vorwerk passierten und auf das Steintor zurollten, hatte die Perspektive sich längst verändert und damit auch der Standort der Türme. Später würde sie genug Zeit haben, sich die Kirchen und Türme, die großen wie die kleinen, aus der Nähe anzusehen.
    Während der Fahrt durch die Stadt hatte sie sich nicht satt sehen können, hatte jeder Kutsche nachgeblickt, zu den Kirchtürmen hinauf und, wenn sie über ein Fleet rollten, in das dunkle Wasser hinab, als finde sich dort die Lösung eines alten Rätsels. Sie hatte auch den Soldaten nachgesehen, die zur Wachablösung zum Steintor marschierten, nur die Häuser, viele doch mit prächtigen Fassaden, hatten sie kaum interessiert. Auch nicht die vielen, unermüdlich ihre Waren ausrufenden Straßenhändler oder die bunten Schilder über den Läden, die die Frauen sonst so entzückten. Er hatte ihre Aufregung gespürt, ihre Neugier und noch etwas, das er nicht deuten konnte. Abenteuerlust, hatte er gedacht, doch nun war er nicht mehr so sicher. Sie saß auf dem Bock, die Schultern hochgezogen, die Lippenaufeinander gepresst, und ihre Blicke glitten beunruhigt über das trotz des nahen Abends noch lärmende Gedränge am Hafen.
    Sie musterte wachsam die am Ufer und an den Duckdalben festgemachten Schiffe, das Gewusel der Matrosen und Hafenarbeiter, der Männer und Frauen, die mit Karren und Fuhrwerken die Fracht aus aller Welt in die Stadt brachten, die kantigen Schuten auf ihrem Weg zu den an den Fleeten gelegenen Speichern, die auf dem Fluss tanzenden letzten Ewer, die ihre kleinen Segel in den Wind drehten für die Fahrt hinüber zu den Inseln oder in die Mitte der Elbe und nach Altona oder weiter hinaus, vielleicht bis zum Meer. Den dicken, von der am Horizont stehenden Sonne golden und rosig geränderten weißen Wolken, die so heiter wirkten, als böten sie einen Fensterplatz für die Engel, schenkte sie keinen Blick. Das erstaunte den Kutscher, nirgends war der Himmel so weit, waren die Wolken so schön wie im frühen Herbst hier im Norden. Er sah oft nach dem Himmel, nicht nur wegen aufziehender Wetter, die für einem Mann seines Berufes von größter Bedeutung waren, sondern weil er die hohen freien Wolken, die wie er immer unterwegs waren, mehr liebte als das Gedränge und den Lärm auf der Erde.
    Endlich kletterte sie vom Bock, strich ihren Rock glatt, schob die Haube zurecht und wartete mit plötzlicher Ungeduld darauf, dass er ihr Gepäck, ein Reisekorb und eine kleine, fest verschlossene Holzkiste, vom Dach der Kutsche lud.
    «Vorsicht», rief sie, als er nach der Kiste griff und sie mit Schwung dem aus der Station zu Hilfe geeilten Postknecht hinunterreichte. «Bitte! Seid doch vorsichtig.»
    «Das könnt Ihr unmöglich allein tragen», rief er zu ihr hinunter. «Werdet Ihr nicht abgeholt?»
    Sie schüttelte den Kopf, musterte streng die Schar von barfüßigen Straßenjungen, die sich immer einfanden, wenn eine Kutsche ankam, und entschied sich für den mit einem kleinen zweirädrigen Karren.
    «Weißt du, wo die Neustädter Fuhlentwiete ist?», fragte sie ihn. «Und Krögers Hof?»
    «Klar. Das is nich weit.» Seine Stimme klang enttäuscht. «Nur über die Kajen und am Herrengraben lang. Der Hof is gleich hinterm
Bremer Schlüssel

    Sie sah den Postknecht fragend an, und als er nickte, hob sie behutsam die kleine Kiste auf den Karren. Den Reisekorb überließ sie den kräftigeren Armen des Knechts.
    Sehr aufrecht, immer nur einen halben Schritt hinter dem Jungen, die Hand fest auf der Holzkiste, verschwand sie im Gedränge.

KAPITEL 3
    Wenn das Schwalbenpaar von der Versammlung seines Schwarms in das Nest unter dem Dach des Kröger’schen Hauses zurückkehrte, war es froh, dass der Abflug in das südliche Winterquartier kurz bevorstand. Den ganzen Sommer waren Haus und Hof in der Neustädter Fuhlentwiete hinter ihrem hohen geschlossenen Bretterzaun ein sicherer und stiller Hort inmitten der lärmenden Stadt gewesen. Das Haus, solide und drei Etagen hoch, wurde nur von Madame Kröger und ihrem Mädchen bewohnt, in der kleinen Scheune hinter dem Pferdestall hatten ein Korbmacher und seine beiden Söhne ihre Werkstatt eingerichtet, auch sie waren

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