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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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dem struppigen strohgelben Haar zu einem zustimmenden Grinsen. Es gab keinen Grund, an Helenas Großartigkeit zu zweifeln, erst recht nicht, wenn sie zuhörte.
    Helena liebte ihren Ehemann an den meisten Tagen und mit nahezu jeder Faser ihres großen Herzens, doch wenn Jean sie so schwungvoll und mit nuschelnder Stimme mit Komplimenten bedachte, konnte das nur eines bedeuten: Auf dem Heimweg vom Theater im Dragonerstall hatten er und Titus einen Umweg genommen. Sie waren im
Bremer Schlüssel
eingekehrt, hatten mit Jakobsen, dem Wirt und alten Freund, den neuesten Klatsch ausgetauscht, und um Jeans Durst zu löschen, hatte es mehr als eines Bechers Wein bedurft. Was sie an langen Abenden und besondersnach der Vorstellung wenig störte, wohl aber am hellen Nachmittag.
    «Immer großartig», rief Jean noch einmal, ließ sich neben seiner Frau auf die Bank fallen und streckte die Beine weit unter den Tisch. «Das Theater ist ein Desaster, Liebste. Wer immer zuletzt im Dragonerstall gastiert hat, ist ein Schwein. Die ganze Truppe muss eine Horde von Schweinen gewesen sein.»
    Helena seufzte schon wieder, und Rosina verbarg ihr Amüsement hinter ihren tintenfleckigen Händen. Jeans grandiose Erkenntnis war nicht neu. Wie die meisten wandernden Schauspieler, Pantomimen, Akrobaten oder Operntruppen spielte die Becker’sche Gesellschaft in Hamburg in dem zu einem kleinen Theater für reisende Gesellschaften umgebauten alten Pferdestall auf dem Platz zwischen dem Valentinskamp und der Bastion Ulricus. Immer gab es viel zu reparieren und umzubauen, Ratten und anderes Kleingetier zu vertreiben, neu zu dekorieren. Besonders wenn es wie in diesem Sommer einige Monate leer gestanden hatte.
    Wenn sie in die Stadt kamen, führte sie ihr erster Weg zum Theater. Dass sein Zustand in diesem September besonders schlimm war, wussten sie längst. Sogar die Brüstung der kleinen Galerie über der Eingangstür war zerbrochen. Während der letzten Vorstellung ihrer Vorgänger musste es eine üble Prügelei gegeben haben. Da sich auf den alten Dielen unter der Galerie keine Blutflecken befanden, konnte es aber nicht allzu schlimm ausgegangen sein.
    Das Theater herzurichten kostete Zeit und Geld, trotzdem war das alte Fachwerkhaus ein Glück. Nur in wenigen Städten standen den Fahrenden eine Scheune oder ein bescheidener Saal zur Verfügung, für gewöhnlich baute jede Truppe in jeder Stadt ihr eigenes hölzernes Theaterauf, die kleineren begnügten sich mit einem Podium unter freiem Himmel und hofften auf trockenes Wetter.
    «Am schlimmsten», Jean griff sich an den Hals und brachte mit schmerzlich geschlossenen Augen ein krächzendes Husten hervor, «am allerschlimmsten ist der Staub, Helena. Reinstes Gift für die Stimme. Wir mussten ihn hinunterspülen, leider, das war Standespflicht. Sag selbst: Was ist ein Schauspieler ohne seine Stimme. Ein Heldendarsteller ohne
voll tönende
Stimme. Natürlich auch ein Hanswurst. Ein Spaßmacher ohne Stimme ist undenkbar.»
    Er warf seiner beharrlich schweigenden Frau einen vorsichtigen Blick zu, blinzelte Hilfe suchend in Rosinas Richtung und sank schließlich ermattet zurück. War er nicht der Prinzipal? Konnte er nicht tun, was er wollte?
    Helena hatte keine Lust zu streiten, nicht einmal mit Jean. Sie schluckte ihren Ärger hinunter, wischte ihm den Schmutz von der Stirn und zog den Wasserkrug heran.
    «Trink», sagte sie, «und dann erzähl uns, was Jakobsen an Neuigkeiten wusste.»
    «Nun.» Jean öffnete erst das linke, dann auch das rechte Auge. Er traute dem Frieden nicht. «Jakobsen wusste beunruhigende Neuigkeiten, er   …»
    «Er sagt», mischte sich Titus hastig ein, «der erste Grönlandfahrer ist schon wieder zurückgekommen. Die
Fortuna
, da soll nochmal einer sagen, nomen est omen. Sie ist nämlich fast ohne Speck und Fischbein zurückgekommen. Das Wetter dort im Eis war bitter wie im November, nur Sturm und Nebel. Schon bei den ersten Kämpfen mit dem Wal gingen so viele Männer verloren, dass der Rest fast gemeutert hätte. Da ist der Kapitän lieber umgekehrt. Er hatte sowieso nicht mehr genug Männer, um weiter zu jagen, und, hätte er nur noch zwei mehr verloren, nicht mal mehr genug für die Segel. Das sagt Jakobsen. Anstatt mitWalspeck haben sie das Schiff mit Eis beladen. Genug, um etliche Keller zu füllen, sagt er. Das bringt nicht einen Bruchteil des Walspecks, aber es ist doch besser als nichts. Der Eiskeller   …»
    «Papperlapapp.» Jean hatte den Krug geleert und

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