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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Schönheit keinen Abbruch. Es gab Stimmen, die behaupteten, beides erhöhe ihren Reiz. Helena war die erste Heroine der Gesellschaft, mit ihrer wahrhaft königlichen Gestalt, den vollen Lippen und dunklen Augen gab sie ebenso fabelhaft die tragische Herrscherin, die würdige Mutter wie die Rachegöttin. Ihr Temperament wechselte leicht zwischen zornigem Aufbrausen und schallendem Gelächter, das hatte schon manches langweilige Stück gerettet.
    «Du hattest Recht, Rosina. Das Drama ist wirklich gut.» Helena legte die Feder neben das Tintenfass, zog sich in der rasch abkühlenden Abendluft fröstelnd das heruntergerutschte Tuch mit den seidigen bunten Fransen über die Schultern und sah ihr Gegenüber abwartend an. Rosina nickte flüchtig und ließ die Feder weiter eilig über das Papier gleiten.
    «Ich habe gesagt, du hattest Recht! Was soll ich noch sagen? Du kannst aufhören, ein grimmiges Gesicht zu machen.»
    Dieses fatale neue Stück. Eine Theatertruppe brauchte ständig neue Stücke, wenn sie sich gegen die Konkurrenz behaupten wollte. Trotzdem war Helena nicht müde geworden, gegen dieses Einwände zu finden, bevor sie es noch gelesen hatte. Madame Hensel, hatte sie gesagt, sei als Schauspielerin grandios – selbst wenn der berühmten Aktrice bei genauem Hinsehen mancher Patzer unterlaufe, von ihrer Übertreibung des Melodramatischen gar nicht erst zu reden. Auch wenn sogar Monsieur Lessing sie für die größte Darstellerin halte – sie sei nun mal eine humorlose, selbstgerechte Person; so eine könne unmöglich ein die Herzen bewegendes Drama schreiben, und ganz gewiss enthalte es nicht die winzigste Stelle, die das Publikum zum Lachen bringe.
    Endlich musste sie nachgeben. Alle übrigen Mitglieder der Gesellschaft waren dafür gewesen, Madame Hensels
Das Leben auf dem Lande
aufzuführen. Sogar Titus, der Hanswurst der Gesellschaft, der wusste, dass in neuen Stücken wie diesem kaum eine wirklich derb-komische Rolle zu besetzen war.
    Aber womöglich hatte Rosinas Missmut einen anderen Grund. Seit ihrer Ankunft wartete sie auf Post von Magnus. Und weil keine kam, schwankte sie beständig zwischen der Sorge, ihm könne auf den Straßen etwas zugestoßen sein, und dem Zorn, weil er sein Versprechen nicht hielt. Und der Angst, er könne sie vergessen haben.
    «Noch sagen?» Endlich sah Rosina auf. «Du sollst gar nichts sagen, Helena. Wenn ich grimmig aussehe, liegt es nur daran, dass diese Schrift schrecklich ist.» Unmutig schnippte sie gegen den Stapel eng beschriebener Bögen, der vor ihr auf dem Tisch lag. Das Stück enthielt neun Rollen mit Text, dazu einige stumme Auftritte. Das erforderte mindestens zehn Abschriften. «Ich wollte, wir hätten eine gedruckte Fassung bekommen, die ließe sich leichter kopieren.» Sie wischte ihre Feder ab, prüfte die Spitze und griff nach dem kleinen Messer mit dem Buchsbaumgriff. «Aber die Mühe lohnt sich. Dieses Drama», sie klopfte triumphierend auf den Papierstapel, «wird ein Erfolg.»
    «Hoffentlich.» Helena stütze aufseufzend ihr Kinn in die Hände. «Wenn wir satt durch den Winter kommen wollen, brauchen wir alle Tage ein volles Haus.»
    «Fast alle Tage würde schon reichen. Wie weit bist du?»
    «Vierter Aufzug, elfter Auftritt. Bei dem Dialog zwischen Karl und Julie. Der ist wunderbar dramatisch.»
    «Ja.» Rosina lachte leise und versuchte ihren Triumph zu verbergen. «Das sind gute Rollen mit echtem Leben.Aber die beste ist doch die der Lady Danby. Du wirst großartig sein, Helena.»
    «Madame Becker ist immer großartig!» Jean Becker, Prinzipal und Heldendarsteller der Becker’schen Gesellschaft, schob mit der Schulter das Tor auf, stolperte in den Hof und verbeugte sich mit fürstlicher Grandezza. Obwohl er alles andere als fürstlich aussah. Jean war ein so schöner und gut gewachsener wie eitler Mann; er verließ das Haus nie, ohne zuvor in den Spiegel zu blicken, und seine Kleider waren stets makellos. Doch nun waren seine schwarzen Strümpfe, die schieferblaue Kniehose, der weinrote Samtrock beschmutzt, auch über seine Stirn unter dem dunklen, von durchaus kleidsamen Silberfäden durchzogenem vollem Haar lief ein schmieriger Streifen, und die vom offenen Hemd müde herabhängende Halsbinde sah aus, als habe er damit den Boden der Theaterscheune gewischt. «Immer großartig», wiederholte er, vergeblich um eine akkurate Aussprache bemüht. «Stimmt’s nicht, Titus? Natürlich stimmt es. Großartig.»
    Titus verzog das kugelrunde Gesicht unter

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