Der Tote im Schnee
»es sind so viele andere Menschen hergekommen. Ist doch klar, daß dadurch Unruhe entsteht.«
Berglund drehte sich um und betrachtete Riis.
»Ich weiß, daß du was gegen Ausländer hast, aber sowohl der kleine John als auch Vincent Hahn sind Produkte unseres Wohlfahrtsstaates. Ich glaube, daß die Einsamkeit die Leute fertigmacht. Es gibt eine derart große Kluft zwischen ihren Träumen und den vorhandenen Möglichkeiten, daß die Menschen leicht einen falschen Weg einschlagen. Wovon haben wir geträumt, wovon hat Oskar Pettersson geträumt?«
Es wurde still im Raum. Selten oder nie wurden solche Fragen aufgeworfen. Der Auslöser war düster, dreitausend Milliliter Blut auf der Straße, ein Kollege war getötet worden. Berglund spürte, daß es ihm nicht gelingen würde zu formulieren, was er empfand, was er bei dem alten Betonbauer wahrgenommen hatte. Es war etwas in seinen Worten über die Heizer in Ekeby bruk gewesen. Sie hatten Berglunds Gedanken in Bewegung gesetzt. Bei seinem zweiten Besuch hatte Pettersson sich an immer mehr Details um den kleinen John und seine Familie erinnert. Aus einem reichen Fundus an Geschichten schöpfend, hatte der pensionierte Bauarbeiter die schwedische Gesellschaft als eine Utopie beschrieben, die in den Sand gesetzt worden war. Berglund hatte vor allem zugehört, und irgend etwas in Petterssons Redefluß hatte seine Gedanken über das Alltägliche hinausgehen lassen.
»Es geht nicht um Kanaken«, sagte Riis trotzig.
»An dem, was du da sagst, ist was dran«, meinte Sammy Nilsson an Berglund gewandt. »Ich habe das gleiche empfunden. Deshalb glaube ich auch nicht, daß es eine Altersfrage ist oder mit den verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft zusammenhängt.«
»Ich finde, die Diskussion kommt ein wenig vom Thema ab«, sagte der Staatsanwalt.
»Hör auf«, widersprach Ottosson und sah Fritzén an, »wir müssen so etwas besprechen dürfen. Wir sind Polizisten, keine verkaterten Landwehrmänner, die vor einem überflüssigen Waffendepot im Wald Wache stehen.«
Wie Ottosson ausgerechnet auf dieses Bild gekommen war, wußten sie nicht, aber den meisten gefielen seine Worte. Sogar Riis verzog den Mund zu einem Lächeln.
»Seht euch doch die Jungs in Gottsunda oder Stenhagen an«, fuhr Sammy fort, »wie orientierungslos sie sind. Ich bezweifle immer öfter, daß ich den richtigen Beruf ergriffen habe. Vielleicht hätte ich lieber Boxtrainer oder etwas Ähnliches werden und Kontakt zu solchen Burschen aufbauen sollen, so wie dieser eine Typ vom Fußballverein, der einen Riesenjob mit Jungs macht, deren Nachnamen kein Mensch aussprechen kann. Das wäre gesellschaftsökonomisch sinnvoller. Die Politiker reden über Arbeitslosigkeit und größer werdende Klassenunterschiede, aber sie tun nichts, sie leben in ihrer eigenen Welt.«
»Das stimmt«, meldete sich Berglund wieder zu Wort.
»Sie wohnen woanders, sie kennen keine Ausländer, sie haben Angst. Wenn das Pulverfaß dann irgendwann hochgeht, schicken sie uns los.«
Fritzén machte Anstalten aufzustehen, ließ sich aber wieder auf seinen Stuhl fallen.
»Wir sollten öfter über solche Themen reden«, sagte der Kommissariatsleiter in einem Versuch, die Diskussion elegant zu beenden, »aber nun müssen wir uns handfesten Arbeitsaufgaben zuwenden. Ich würde vorschlagen, daß Haver und Beatrice Hahn vernehmen. Er scheint in ziemlich schlechter Verfassung zu sein, wir sollten einen Arzt hinzuziehen. Kannst du dich darum kümmern, Ola?«
Haver nickte.
»Ich habe mit Liselotte Rask gesprochen«, fuhr Ottosson fort, »morgen früh um neun werden wir eine Pressekonferenz abhalten. Die übernehmen sie und der Chef. Ich weiß, was ihr sagen wollt, aber er hat darauf bestanden, dabei zu sein. Uns stellt sich jetzt vor allem die Frage, ob Hahn etwas mit dem Mord am kleinen John zu tun hatte. Ich persönlich kann mir das nicht vorstellen. Es ist wohl eher ein Zufall, daß sie zusammen in die Vaksalaschule gingen.«
»Er hat gesagt, er habe den kleinen John gekannt«, wandte Sammy Nilsson ein. »Und er wußte, daß John durch Messerstiche getötet wurde.«
»Das kann er auch in der Zeitung gelesen haben.«
»Sicher, aber er hat es so … na ja, ich weiß nicht, er schien irgendwie zu triumphieren.«
»Gibt es eigentlich etwas Neues über das Messer aus der Uniklinik?« wechselte Ottosson das Thema.
»Nein, wir haben versucht zu ermitteln, wo es gekauft worden sein könnte«, antwortete Sammy, »sind aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher