Der Tote im Schnee
Geschwader der Luftwaffe«, antwortete Haver, »aber wer von denen trägt schon Uniform, wenn er nicht im Dienst ist?«
»Sollen wir uns verschiedene Typen von Uniformen ausleihen, damit Hahn sie sich anschauen kann?«
»Es könnte auch eine andere Art von Uniform gewesen sein, und er hat nur geglaubt, es wäre die eines Soldaten.«
»Busfahrer, Politessen, es gibt jede Menge Arbeitsklamotten, die in den Augen eines Irren wie Hahn militärisch aussehen können.«
Haver schwieg, spulte das Band zurück und hörte es ab. Hahns Stimme klang metallisch auf dem Band, so als hätte die Aufnahme sein Zögern beim Sprechen ausgelöscht.
»Was sollen wir nur davon halten?« meinte Haver.
Beatrice starrte ausdruckslos die Wand an. Haver merkte, daß er für einen Moment geglaubt hatte, mit Lindell zu sprechen. Es klopfte diskret. Fredriksson, dachte Haver, aber es war Sammy Nilsson, der die Tür vorsichtig einen Spaltbreit öffnete und ins Zimmer lugte.
»Ihr habt ihn schon wieder runtergeschickt«, stellte er fest und trat ein.
Haver spielte das Band ein weiteres Mal ab.
»Ich glaube, er war es«, sagte Sammy, als Haver ausgeschaltet hatte.
»Ein Motiv ließe sich vielleicht noch konstruieren, aber hatte er auch die Gelegenheit?« fragte Haver, der in Gedanken ganz woanders war.
Beatrice betrachtete ihn von der Seite. Er bürdet sich zuviel auf, dachte sie, so als würden die Ermittlungen mit ihm stehen und fallen.
»Und der Transport nach Libro, wie hat er das Problem gelöst?« gab sie zu bedenken.
»Seinem Opfer die Finger abzuschneiden ist so krank, daß Hahn sehr wohl in Frage kommt«, entgegnete Sammy und ignorierte den Einwand seiner Kollegin.
»Der Transport«, wiederholte Beatrice.
»Wenn er den kleinen John auf dem Schulhof niedergestochen hat, er hat doch etwas von ›nicht auf dem Platz‹ gesagt, und den Schulhof kann man ja durchaus auch als einen Platz auffassen«, fuhr Sammy fort, »dann hat ihm vielleicht jemand bei der Tat geholfen, der aussah wie ein Soldat.«
»Das ist mir zu weit hergeholt«, meinte Beatrice, »warum sollte jemand, der Zeuge des Mordes geworden ist, Hahn dabei helfen, die Leiche nach Libro zu schaffen?«
»Vielleicht kannten sie sich.«
Beatrice schüttelte den Kopf.
»Oder aber er wurde dazu gezwungen«, überlegte Haver.
»Vielleicht hat Hahn ihn bedroht.«
»Genau«, sagte Sammy und stand auf. »Er ist bedroht worden.«
»Aber warum … Du meinst, daß der Zeuge auch ermordet wurde?«
Sammy nickte.
»Yes«, bestätigte er. »Irgendwo da draußen liegt noch eine Leiche.«
Sie saßen eine Weile schweigend zusammen und versuchten sich dieses Szenario vorzustellen. Keinem von ihnen kam es völlig abwegig vor.
»Wir müssen Hahn noch einmal verhören«, sagte Sammy.
»Ja klar«, schnauzte Haver ihn an. »Was hast du denn gedacht? Ich rede mal mit Ottosson«, fügte er hinzu und verließ den Raum, ehe seine Kollegen reagieren konnten.
»Der hatte es aber auf einmal eilig«, meinte Sammy erstaunt.
»Er ist völlig erledigt«, sagte Beatrice.
33
Ann Lindell hatte Erik gestillt und apathisch die morgendlichen Handgriffe ausgeführt. Die Schlagzeilen der Zeitung hatten den Mord an Jan-Erik Hollman verkündet. Benommen las sie den Artikel über die Ereignisse des Vortags. Sie hatte Hollman als einen netten Kerl in Erinnerung; ein Nordschwede, guter Badmintonspieler und offenbar der Vater von zwei Kindern.
Ann blieb am Küchenfenster stehen. Auf dem Herd stand ein großer Topf. Lindells Mutter hatte ihrer Tochter angeboten, den Weihnachtsschinken zu kochen, aber Ann hatte darauf bestanden, dies selber zu tun. In der Küche roch es schwach nach Gewürzen und Fleischbrühe.
Sie betrachtete erneut die Titelseite der Zeitung. Das Foto von der Svartbäcksgatan mit dem dunklen Fleck auf dem Bürgersteig erinnerte sie an das Bild, das oft in Artikeln über den Mord an Olof Palme abgedruckt worden war. Blut auf der Straße.
Sie ekelte sich vor dem Anblick des großen Schinkens – die grauweiße Schwarte und das Fett, das nach oben stieg. Sie schöpfte etwas Fett und Schaum ab. Es war Jahre her, daß sie ihren letzten Weihnachtsschinken gekocht hatte. Das ist alles so sinnlos, dachte sie. Der Gedanke an ihre Eltern, deren Fürsorglichkeit und bekümmerte Gesichter, löste bei ihr Beklemmungen aus, ein schlechtes Gewissen, vermischt mit Wut.
Das Fleischthermometer zeigte knapp vierzig Grad an.
Der Schinken würde noch mindestens eine Stunde brauchen. Sie drehte die
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