Der Tote im Schnee
decken.
»Was für schönes Geschirr Sie da haben«, sagte Ann, und die Frau sah sie an wie jemand, der kurz vor dem Ertrinken ist und einen Rettungsring erblickt.
»Ich hoffe, Sie haben die Pfefferkuchen nicht schon über?« sagte sie.
Ich könnte mich hier richtig wohl fühlen, wenn mir Agne Sagander erspart bliebe, dachte Lindell.
»Es dauert noch einen Moment, bis der Kaffee fertig ist«, sagte die Frau.
»Ich habe gesehen, daß Sie so schöne Kupfersachen an der Wand hängen haben. Könnte ich mir die vielleicht mal ansehen?« fragte Lindell.
»Ja, sicher, kommen Sie mit.«
Sie gingen Richtung Küche, und Lindell spürte Agne Saganders Blick in ihrem Rücken.
»Er ist ein bißchen schroff«, erklärte Gunnel Sagander entschuldigend, als sie in die Küche gekommen waren. »Er hat solche Schmerzen.«
»Das sieht man ihm an«, erwiderte Lindell. »Er ist bestimmt ein Mensch, der nicht gut stillsitzen kann.«
Gemeinsam betrachteten sie die Schüsseln und Kuchenformen. Gunnel Sagander erzählte, bei den meisten von ihnen handele es sich um Erbstücke, ein paar habe sie aber auch auf Auktionen ersteigert.
»Agne wird wahnsinnig, wenn ich solche Sachen anschleppe, aber dann findet er doch, daß es schön aussieht.«
»Typisch Mann«, sagte Lindell. »Ich habe gehört, daß Sie ihn im Krankenhaus abgeholt haben.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Gunnel, und ihre Augen verloren ein wenig von ihrem Glanz.
»Das war am achtzehnten?«
»Ja, an seinem Geburtstag, aber wir haben nicht gefeiert. Er war vor allem wütend. Er wollte in die Werkstatt.«
»Daß man die Leute heutzutage aber so schnell wieder nach Hause schickt? Er ist doch nur einen Tag vorher operiert worden.«
»Das liegt bestimmt an den ganzen Sparmaßnahmen. Aber er wollte auch nach Hause. Schlimmer ist es für Leute, die allein leben.«
»Sie meinen, die niemanden haben, der Mädchen für alles spielen kann?«
Gunnel Sagander lächelte.
»Mädchen für alles«, sagte sie nachdenklich. »So habe ich das noch nie gesehen. Ich möchte es eben nett haben, und er ist normalerweise nicht so unmöglich, wie es heute vielleicht den Anschein hat.«
Lindell fand, daß Gunnel Sagander sich für ihr Alter gut gehalten hatte; in ihrer Stimme lag eine Herzlichkeit, die darauf hindeutete, daß die Frau viel gesehen und gehört, aber auch verziehen und sich mit allem versöhnt hatte, was in ihrem Leben nicht schön für sie gewesen war. War sie glücklich? Machte sie aus der Notwendigkeit, eine gute Hausfrau und die Ehefrau eines Griesgrams zu sein, eine Tugend?
Lindell hatte allzu viele solcher Frauen gesehen, die sich bedingungslos unterordneten; zuweilen hielt sie es jedoch selber auch für verlockend, in die traditionelle Frauenrolle zu schlüpfen. Es wäre so einfach, das Verhalten der Mutter nachzuahmen, so scheinbar sicher. Sie hätte gerne mit Gunnel Sagander darüber gesprochen, erkannte jedoch, daß dies nicht der richtige Augenblick für ein solches Gespräch war und daß er vermutlich niemals kommen würde.
In der Kaffeemaschine gurgelte es ein letztes Mal. Gunnel Sagander sah Lindell an, als hätte sie die Gedanken der jüngeren Frau gelesen.
»Sind Sie verheiratet?« fragte sie, während sie den Kaffee in eine große Thermoskanne goß.
»Nein, alleinerziehend mit einem kleinen Erik.«
Die Frau nickte, und sie gingen ins Wohnzimmer.
Lindell sah, daß Haver enttäuscht war. Oder lag es nur an seiner Müdigkeit, daß er wie am Boden zerstört aussah? Er saß schlapp zurückgelehnt in einem Sessel, betrachtete seine Hände und warf Lindell und Gunnel Sagander einen flüchtigen Blick zu, als sie zurückkehrten. Sagander schwadronierte. Berglund lauschte aufmerksam.
»Der kleine John war ein geschickter Schweißer, aber ein Sonderling«, sagte Sagander. »Es war schade, daß er gehen mußte.«
»Aber Sie haben ihn doch entlassen«, wandte Berglund ein.
»Das mußte sein«, erwiderte Sagander kurz angebunden, »aber das versteht ein Beamter natürlich nicht.«
»Natürlich«, sagte Berglund freundlich und lächelte.
»Noch eine Tasse Kaffee?« fragte Gunnel Sagander und hielt die Thermoskanne hoch.
»Nein danke«, antwortete Berglund und stand auf.
Haver schaute zum Himmel hinauf. Die Wolken wurden wie ein Vorhang weggezogen und gaben den Blick auf den Sternenhimmel frei. Er bewegte den Mund, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders und ging die Treppe zum Hof hinab.
»Vielen Dank für den Kaffee«, sagte er
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