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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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statt dessen um die Menschen kümmern würde, solange sie noch leben?«
    Berglund blieb bis kurz vor zehn. Oskar Pettersson begleitete ihn in den Flur hinaus, kehrte unmittelbar darauf jedoch wieder in die Küche zurück, und Berglund hörte, wie das Radio eingeschaltet wurde. Die Abendandacht.
    »Ich möchte noch die Nachrichten hören, ehe ich ins Bett gehe.«
    Pettersson kam in den Flur zurück. »Danach lese ich noch ein wenig«, sagte er, während Berglund seine Winterstiefel zuschnürte.
    »Gute Schuhe«, meinte Pettersson anerkennend. »Ich bin in einem Lesezirkel, und wir treffen uns einmal im Monat und reden über Bücher.«
    »Was lesen Sie denn gerade?«
    »Ein Buch über die Pest. Mir ist da übrigens noch was eingefallen, sein Bruder, Lennart, was ist mit dem?«
    »Nun ja«, erwiderte Berglund ein wenig zögernd, »er ist, wie er ist.«
    »Also ist mit anderen Worten nicht viel los mit ihm. Er ist aus anderem Holz geschnitzt. Ich erinnere mich noch, was für einen Ärger Albin und Aina mit dem Jungen hatten. Später hat er ein paar Jahre auf dem Bau gearbeitet. Dann ist er unter so ein Fertigbauteil geraten, oder vielleicht auch von einem Gerüst gefallen, ich erinnere mich nicht mehr. Jedenfalls ist er seither nicht mehr ans Arbeiten gekommen.«
    »Albin ist von einem Dach gestürzt«, sagte Berglund.
    »Typischerweise ein Auftrag bei den Bücherwürmern auf der anderen Seite des Flusses.«
    »Danke für das Bier«, meinte Berglund.
    »Ich habe zu danken«, sagte Oskar Pettersson und ergriff Berglunds ausgestreckte Hand. »Schauen Sie mal wieder vorbei, dann können wir gemeinsam herausfinden, warum man an diesen Brennöfen so schlechte Laune bekam.«
     
    Berglund ging langsam nach Hause. Er wohnte nur einen knappen Kilometer entfernt. Hier hat alles angefangen, dachte er, in Almtuna. Er blieb für einen Moment vor einem Antiquitätengeschäft stehen. Ein Weihnachtsmann mit einer elektrischen Laterne erhellte das Schaufenster. Das starre Gesicht des Weihnachtsmannes mit seinen roten Wangen leuchtete ein wenig gespenstisch, wächsern glänzend.
    Die Ymergatan. Der Riese Ymer. Er war erschlagen worden, und aus seinem Fleisch wurde die Erde, aus seinem Blut alles Wasser und aus dem Schädel der Himmel erschaffen, und aus den Augenbrauen die Mauer erbaut, die das Menschengeschlecht vor den Riesen beschützte. Midgård, die Welt der Menschen. Dort hat alles angefangen. Unsere Geschichte. Ich frage mich, ob die Leute, die in der Straße wohnen, Asks und Emblas Söhne und Töchter, diese Geschichte wohl kennen, überlegte Berglund. Wahrscheinlich nicht.
    Er erinnerte sich nicht mehr an die ganze Sage, hatte aber doch genug behalten, um eine Weile an der Straßenkreuzung stehenzubleiben. Wenige Spaziergänger waren zu sehen, ein Volvo fuhr langsam vorbei, und Berglund bildete sich ein, daß es ein Kollege in einem zivilen Wagen war.
    Er ließ den Blick über die Ymergatan schweifen. Hier irgendwo war Johns kleine Schwester verunglückt. Was macht einen Menschen aus, hatte Oskar Pettersson gefragt. Die Jonssons waren eine der Familien, die in Almtuna lebten. Ein ums andere Mal waren sie von Schicksalsschlägen getroffen worden. Mittlerweile waren drei von ihnen tot: das kleine Mädchen, der Vater Albin und nun sein Sohn John. Ein Unfall, vielleicht ein Selbstmord und schließlich ein Mord. So als hätten sich sämtliche für die Straße und den Stadtteil vorgesehenen gewaltsamen Todesfälle auf eine Familie konzentriert.
    Die Ymergatan. Berglund wurde für einen Moment empfänglich für die Schönheit des späten Abends. Die in Schnee gebettete Straße, auf der nur vereinzelte Fahrradspuren verliefen wie ein schmaler Pfad in das Land der Riesen, die schneebeschwerten, ruhenden, wartenden Bäume, die Fenster, die fast alle von Adventssternen und Kerzenständern erleuchtet wurden. Große Schneeflocken wirbelten im Schein der Straßenlaternen.
    Meine Stadt, dachte Berglund. Obwohl er auf der anderen Seite des Flusses aufgewachsen war, kannte er doch Almtuna, das ein Sinnbild für die Gesellschaft war, von der einst sein Vater, der Heizer in Ekeby geträumt hatte. Angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes, das er immer sehr gemocht und gepflegt hatte, des versöhnenden Schnees und der Begegnung mit Oskar Pettersson konnte er die Gedanken an John und seine Familie verdrängen.
    Allerdings gelang ihm dies nur für einen Augenblick, denn er war trotz allem Kriminalpolizist, einer, der gerade in einem Mordfall

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