Der Tote im Schnee
ermittelte. Trotzdem würde er sich noch lange an den Anblick der winterlich geschmückten Ymergatan erinnern.
Seine Stadt. Oskar Pettersson hatte von den Bücherwürmern gesprochen. Es war lange her, daß in seiner Gegenwart jemand die Akademiker so genannt hatte. Doch er wußte nur zu gut, daß es zwei Städte gab, zwei Uppsalas: das Oskar Petterssons und das der Bücherwürmer. Es wurde vielleicht nicht mehr so viel darüber gesprochen wie früher, aber man spürte es, sogar im Polizeipräsidium.
Berglund schob die Gedanken beiseite. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen, aber er konnte es nicht lassen, sein Handy herauszuholen und Fredriksson anzurufen, um ihn zu fragen, wie es in Sävja lief.
»Danke, alles in Ordnung«, sagte Allan Fredriksson.
Berglund spürte die Müdigkeit des anderen. Hauptsache, er würde nicht wieder arbeiten, bis er völlig ausgebrannt war, so wie vor ein paar Jahren.
»Es gibt da einen Zusammenhang zwischen dem Überfall in Sävja und John«, fuhr Berglunds Kollege fort. »Der Täter war ein Schulkamerad der Frau, genau wie John Jonsson.«
»Habt ihr ihn gefaßt?«
»Wir suchen noch nach ihm.«
»Wie heißt er?«
»Vincent Hahn, wohnhaft in Sävja, aber nicht zu Hause. Sein Schädel hat ziemlich was abbekommen.«
»Körperlich?«
»Sowohl als auch, glaube ich.«
»Brauchst du Hilfe?«
Berglund wollte nach Hause, mußte aber einfach fragen.
»Danke der Nachfrage, es geht schon«, erwiderte Fredriksson.
Sie beendeten das Gespräch, aber Berglund war nachhaltig beunruhigt. Hatten sie es etwa mit einem Verrückten zu tun, der es auf ehemalige Schüler der Vaksalaschule abgesehen hatte?
18
Justus legte die flache Hand auf die Wasseroberfläche, wie John es immer getan hatte. Die Fische waren so sehr an die Hand seines Vaters gewöhnt gewesen, daß sie innerhalb weniger Sekunden da waren und schnappten. Aber es war Johns Hand gewesen. Jetzt kamen sie nicht. Niemand kann behaupten, daß Aquarienfische dumm sind, dachte Justus. Warum hatte John das gemacht? Wollte er die Wassertemperatur fühlen oder einfach Kontakt zu den Fischen aufnehmen? Justus hatte ihn nie danach gefragt. Es gab so vieles, worüber sie nicht gesprochen hatten. Jetzt war es dafür zu spät, aber er würde sich fortan um das Aquarium kümmern müssen, das war ihm klar. Berit hatte sich nie wirklich dafür interessiert, fand es trotzdem schön, und gegen das neue Aquarium hatte sie nur lahm protestiert, weil sie gewußt hatte, sie würde John in dieser Frage nicht beeinflussen können. Justus glaubte zudem, daß sie insgeheim froh über Johns Leidenschaft gewesen war. Er gab schlimmere Dinge, denen ein Mann sich widmen konnte.
Justus zog den Schlauch nach unten und begann das Wasser abzulassen. Berit saß mit seiner Großmutter in der Küche. Er lauschte ihren gedämpften Stimmen. Sie sprachen leise, damit er nicht hörte, was sie sagten. Sie glaubten, er würde es nicht ertragen. Doch er wußte, daß sie sich über Johns Beerdigung unterhielten.
Als der Eimer halbvoll war, wechselte er mit dem Schlauch zum nächsten und trug den ersten ins Badezimmer. Dreihundert Liter mußten weggebracht werden. Dreißig volle Eimer, aber Justus traute sich nicht, sie so voll zu machen wie John, also würden es wohl eher vierzig Runden werden. Und dann ging es mit ebenso vielen wieder zurück.
Jede Woche mußte diese Prozedur wiederholt werden. Wie oft würde er zum Badezimmer und wieder zurück gehen müssen? Er ahnte, daß Berit das Aquarium und die Fische verkaufen wollte, aber noch hatte sie das nicht angesprochen.
Prinzessin von Burundi, so hatte er sie manchmal genannt. Erst hatte sie es nicht verstanden, dann aber gelacht.
»Ich bin mir eine schöne Prinzessin!«
John hatte Justus einen verschwörerischen Blick zugeworfen. Nur sie beide wußten Bescheid. Berit würde es noch früh genug erfahren. Wenn alles in trockenen Tüchern war, wie John sich ausgedrückt hatte. In trockenen Tüchern, wiederholte der Junge im stillen. Der dritte Eimer mußte ausgeleert werden. Blieben noch siebenunddreißig.
»Du bist meine Prinzessin, das weißt du doch«, hatte John erwidert. Ihr Lachen war verstummt. Der Ton in seiner Stimme hatte sie aufhorchen lassen. John, dem so etwas normalerweise nicht entging, hatte die Veränderung in ihrem Gesicht nicht bemerkt und weitergesprochen: »Du sollst ein eigenes kleines Prinzessinnenreich bekommen.«
War er an dem Abend betrunken, überlegte Justus.
»Glaubst du, wir müssen immer
Weitere Kostenlose Bücher