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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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weiß nicht«, sagte Justus.
    »Das könnte dir aber gut tun.«
    »Ist Großmutter gegangen?«
    »Ja, sie ist gegangen. Du verpaßt zwar nicht viel, aber es wäre vielleicht gut für dich.«
    »Ich muß mich um das Aquarium kümmern.«
    Berit sah ihn an. Wie ähnlich er seinem Vater ist, dachte sie. Das Aquarium. Sie warf einen Blick auf einige der Buntbarsche, die um den Schlauch herumschwammen.
    »Dabei müssen wir uns gegenseitig helfen«, sagte sie. »Die Schule darfst du deshalb jedenfalls nicht vernachlässigen.«
    Er sah zu Boden.
    »Was glaubst du, woran Papa gedacht hat?« fragte er mit leiser Stimme.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Berit.
    Sie hatte ihn identifiziert und darum gebeten, seinen ganzen Körper zu sehen. Nicht die Stichwunden, seine grau verfärbte Haut, nicht einmal die gekappten Finger und Brandmale hatten ihr die größte Furcht eingejagt, sondern sein Gesicht. Sie hatte eine entsetzliche Angst erkannt, die sich in Johns Gesichtszüge eingeätzt hatte.
    Er war ein mutiger Mann und niemals schmerzempfindlich und zimperlich gewesen, hatte selten oder eigentlich nie geklagt. Daß die Angst einen Menschen so verändern kann, hatte sie gedacht und war einen Schritt zurückgewichen. Sein Gesicht war kaum noch wiederzuerkennen.
    Die Polizistin an ihrer Seite, Beatrice hieß sie wohl, hatte ihren Arm genommen, aber Berit hatte sich frei gemacht. Sie wollte nicht gestützt werden.
    »Lassen Sie mich ein paar Minuten allein«, hatte Berit sie gebeten. Die Polizistin hatte sie zwar skeptisch angesehen, dann jedoch den Raum verlassen.
    Als sie dort stand, vollkommen reglos an seiner Bahre, hatte sie das Gefühl, immer schon gewußt zu haben, daß es einmal so kommen würde. Vielleicht nicht gewußt, aber doch geahnt. Johns Familie war keine gewöhnliche Familie. Es kam ihr so vor, als könne – wer dazugehörte – seinem Schicksal nicht entfliehen.
    »Ich glaube, er dachte an die Prinzessin von Burundi«, sagte der Junge.
    »Wie bitte, an wen?«
    »An die Prinzessin von Burundi.«
    Da erinnerte sie sich wieder an den Abend, als sie das Aquarium eingeweiht hatten. John hatte den Gästen die verschiedenen Buntbarsche gezeigt, darunter die Prinzessin. Sie hatte die Namen der anderen Arten früher schon gehört, nur die Prinzessin war ihr neu.
    John hatte sich vorgebeugt, das Gesicht ganz dicht vor der Glasfront, und seinen Gästen mit Begeisterung die einzelnen Fische beschrieben. Dann hatte er Justus angesehen und anschließend Berit.
    »Das hier ist meine Prinzessin«, hatte er gesagt und den Arm um ihre Taille gelegt. »Meine Prinzessin von Burundi.«
    »Was zum Teufel ist Burundi?« hatte Lennart gefragt.
    Justus hatte ihm erklärt, daß es ein Land in Afrika war, am Nordufer des Tanganjikasees. Berit erinnerte sich an den Eifer in seiner Stimme.
    »Burundi ist schön«, meinte Justus.
    »Bist du da schon einmal gewesen?« fragte Berit lächelnd.
    »Beinahe«, erwiderte der Junge.
    Fast hätte er ihr alles erzählt.

19
    »Der Mann ist wirklich nett gewesen«, murmelte Vincent. Der Autofahrer hatte ihm sogar angeboten, in die Ambulanz des Krankenhauses mitzukommen. »Vielleicht dachte er, ich hätte eine Gehirnerschütterung und käme allein nicht zurecht?«
    Vincent Hahn hob die Hand und wartete, bis das Auto verschwunden war, ehe er sich von dem hell erleuchteten Eingangsbereich entfernte. Von Zeit zu Zeit wurde ihm wieder schwindlig. Er glaubte nicht, daß der Blutverlust dafür verantwortlich war, es lag wohl eher an der Anspannung. Die Blutung war schwächer geworden und die Wunde verschorft. Vorsichtig tastete er die Wundränder ab.
    Ein paar Minuten später stand er auf dem Dag Hammarskjölds väg und wußte nicht recht, wo er hin sollte. Es schneite leicht. Autos fuhren vorbei. Er zog sich zwischen die Bäume im Park zurück. Ein jüngeres Paar kam ihm entgegen. Sie lachten. Unter den dicken Daunenjacken waren sie bestimmt schick angezogen. Die Frau hielt eine Plastiktüte in der Hand, in der Vincent Tanzschuhe vermutete.
    Er versteckte sich hinter einem Baum und ließ die beiden vorbeigehen, ehe er sich von hinten an sie heranschlich. Der Schnee schluckte das Geräusch seiner Schritte, und sie waren völlig überrascht. Er riß dem Mann die Strickmütze vom Kopf, drehte sich um und lief in den Park hinein. Nach etwa fünfzehn Metern sah er sich um. Das Paar stand noch immer an der gleichen Stelle und schaute ihm nach. Er wußte, daß sie ihn nicht verfolgen würden, lief aber dennoch

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