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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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keinen an, gab nichts und niemandem die Schuld, aber insgeheim haßte er die Lehrer und alle anderen Erwachsenen. Zu Hause stammelte Albin seine Ermahnungen. Aina wurde »nervös«, hatte sich selber oft nicht mehr im Griff, geschweige denn ihren halsstarrigen Sohn. Aina tröstete sich mit ihrem Jüngsten, John, mußte jedoch hilflos mitansehen, daß sein großer Bruder ihn zu immer wüsteren Eskapaden mitnahm.
    »John war ein lieber Kerl«, sagte Micke. Er hörte, wie lächerlich es klang, als er die Worte aussprach.
    »Du«, sagte Lennart und setzte sich wieder an den Tisch, »ich hab da über was nachgedacht. Hatte mein Bruder eine andere Braut?«
    Micke sah ihn ungläubig an.
    »Wie meinst du das? Soll er was mit einer anderen gehabt haben?«
    »Keine Ahnung, aber vielleicht hat er dir ja was gesagt.«
    »Nein, nie, ich habe ihn nie von einer anderen Frau reden hören. Das glaubst du doch selber nicht. Er hat Berit doch regelrecht angebetet.«
    »Ja, du hast wohl recht. Er ist ihr nur mit seinen Zierfischen untreu geworden.«
    »Was wird jetzt aus ihnen?«
    »Justus macht weiter«, antwortete Lennart.
    Micke dachte an Johns Sohn, Papas Liebling. In Justus sah er John als Jugendlichen vor sich. Der Junge war wortkarg, und es war schwierig, Blickkontakt zu ihm zu bekommen. Man hatte stets das Gefühl, daß Justus jeden durchschaute, mit dem er sich unterhielt. Micke hatte sich ihm oft unterlegen gefühlt, so als hielte Justus es nicht für nötig, sein Gehirn mit Mickes Gerede zu belasten, geschweige denn darauf zu antworten.
    Andererseits hatte er John schon als Jungen gekannt, und wenn er es recht bedachte, hatte auch er diese Verhaltensweise gezeigt. Wie sein Sohn konnte er überheblich und starrköpfig wirken und sich unwillig zeigen, Kompromisse einzugehen. Deshalb hatten sich Sagge und John auch niemals richtig verstanden, obwohl John so ein geschickter Schweißer war.
    Nur im Umgang mit den Menschen, die ihm am nächsten standen, vor allem mit Berit, ging John mehr aus sich heraus, klappte das Visier hoch und zeigte sich von einer anderen Seite, die voller Fürsorglichkeit und trockenem Humor war.
    »Wenn überhaupt jemand weitermachen kann, dann sein Junge«, sagte Micke.
    Er hatte Lust auf ein weiteres Bier, wußte jedoch, wenn er noch eine Büchse öffnete, würde Lennart das gleiche tun. Und dann würde es nicht bei einer bleiben.
    Es ging auf Mitternacht zu, Lennart machte keine Anstalten, nach Hause zu gehen. Micke stand mühsam auf. Er hatte auch morgen wieder einen harten Tag vor sich.
    »So ein verdammter Mist, daß es ausgerechnet kurz vor Weihnachten so schneien muß«, sagte er und holte zwei Bier.

17
    Berglund war seit einer Stunde auf seinem Posten an der Bushaltestelle der Linie 9 am Vaksala torg. Er hielt seinen Dienstausweis in der einen Hand und ein Foto von John Jonsson in der anderen. Es kam ihm vor, als hätte er bereits Hunderte von Businsassen gefragt, ob sie den Mann auf dem Bild erkannten.
    »Ist das der Mann, der ermordet worden ist?« hatte sich eine Frau neugierig erkundigt.
    »Erkennen Sie ihn?«
    »Ich verkehre nicht in solchen Kreisen«, hatte sie erwidert.
    Sie war wie die meisten anderen Fahrgäste mit Tüten und Paketen beladen. Berglund fand, daß die Menschen nicht gerade froh aussahen.
    Er war seit vielen Jahren Polizist in Uppsala. Dies war ein Routineauftrag, einer von mehreren tausend, die er im Laufe der Zeit erledigt hatte, aber er wunderte sich immer wieder, wie die Einwohner seiner Stadt reagierten. Heute, bei dem Versuch, einen Mordfall aufzuklären, Überstunden machend und frierend an einer Bushaltestelle, während er eigentlich zusammen mit seiner Frau das Weihnachtsfest vorbereiten sollte, begegneten sie ihm zwar nicht mit offenem Widerwillen, doch äußerst reserviert.
    Er ging zu einem älteren Mann, der gerade an der Haltestelle stehengeblieben war, eine Handvoll Einkaufstüten abgestellt und sich eine Zigarette angesteckt hatte.
    »Hallo, Berglund von der Polizei«, sagte er und hielt seinen Dienstausweis hoch. »Kennen Sie diesen Mann?«
    Der ältere Herr nahm einen tiefen Zug und studierte das Foto.
    »Ja sicher, den kenne ich seit ewigen Zeiten. Das ist der Sohn des Dachdeckers.«
    Er blickte auf und sah Berglund forschend an.
    »Hat er was ausgefressen?«
    Berglund gefiel die Stimme des Mannes. Sie ist ein bißchen heiser, er raucht bestimmt viel, dachte der Polizeibeamte. Außerdem paßte sie gut zu seinem Aussehen: ein zerfurchtes, offenherziges

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