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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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erkannt, daß sie sich immer wieder damit auseinandersetzte, um der eigenen Frustration und Einsamkeit beizukommen. Denn einsam war sie, trotz Mutterschaft.
    Ein Kind zur Welt zu bringen und zu sehen, wie es sich entwickelt, war eine phantastische Erfahrung, gleichzeitig jedoch auch ausgesprochen »unspannend«. Das war ihr Wort dafür: unspannend. Sie sagte es niemandem, aber ihr fehlte die Spannung ihrer Arbeit bei der Kriminalpolizei. Sie hatte begriffen, warum sie Polizistin geworden war. Es war nicht aus philanthropischen Gründen geschehen, sondern wegen der Spannung, des Wartens auf etwas Unerwartetes, des Außerordentlichen, wegen des Gefühls, sich im Zentrum eines sich drehenden Rads zu befinden.
    Kurz nach eins kam sie in der Praxis an, wo Katrin, die Kinderärztin, sie empfing. Lindell mochte die kleine Frau in den zierlichen goldfarbenen Sandalen. Katrin und sie verstanden sich gut.
    Ann stillte noch, wollte aber bald damit aufhören. Das Würmchen weigerte sich, an der linken Brust zu trinken, die mittlerweile wieder normale Proportionen bekommen hatte. Außerdem hatte Erik inzwischen begonnen, sie in die Brust zu beißen.
    Sie zog den Jungen aus und zeigte der Ärztin die Pusteln auf Brust und Rücken. Katrin studierte alles eingehend und erklärte anschließend, daß Anns Eßgewohnheiten wahrscheinlich der Grund für den Ausschlag waren.
    »Sie müssen darauf achten, was Sie essen«, sagte sie. »Erik reagiert auf etwas, das Sie zu sich nehmen. Wenn wir Sommer hätten, würde ich auf Erdbeeren tippen.«
    »Ich würze gerne indisch«, meinte Ann, »kann es daran liegen? Zum Beispiel mit Kreuzkümmel und Ingwer.«
    »Stark gewürztes Essen? Das glaube ich eher nicht, denn wenn er das nicht vertragen würde, bekäme er eher Bauchschmerzen.«
    »Dann ist es also kein Virus?«
    Ann kam sich hilflos vor. Daß Viren für alles Mögliche verantwortlich waren, hatte sie von einer Frau in der Krabbelgruppe aufgeschnappt, in die sie ab und an ging. Nicht, daß ihr das Spaß machen würde, sie sah es eher als eine Prüfung, als etwas, das frischgebackene Mütter eben machen mußten.
    »Nein, das glaube ich nicht, nicht solange Sie stillen.«
    Sie einigten sich darauf, daß Ann in Zukunft bewußter darauf achten würde, was sie aß und wie Erik auf verschiedene Lebensmittel reagierte.
    Die beiden Frauen unterhielten sich etwa eine halbe Stunde. Katrin war Lindells Vertraute, die auch vor schwierigen und sensiblen Fragen nicht zurückschreckte. Sie hatte instinktiv die Verwirrung gespürt, die Ann ergriffen hatte, als sie Mutter geworden war. Die Ärztin beobachtete dies sicher nicht zum ersten Mal, stellte aber dennoch die richtigen Fragen mit einem solchen Taktgefühl, daß Lindell sich mit ihr ungezwungen über ihre Nöte unterhalten konnte. Auch Ratschläge erteilte sie so, daß Ann sie nie als Kritik empfand.
    Sie trennten sich im Flur. Ann drehte sich noch einmal um und winkte Katrin zu, nahm Eriks Hand in ihre und ließ auch ihn winken. Die Ärztin sah plötzlich schüchtern aus, hob aber die Hand zu einem vorsichtigen Gruß.
    Ann Lindell trat dankbar in die Dezembersonne hinaus, die sich jetzt immer schneller zum Horizont senkte. Sie ging die Straße hinab und beschloß, dem Polizeipräsidium einen Besuch abzustatten. Sie sah auf die Uhr. Gleich zwei. Ottosson war sicher da. Er würde sich bestimmt die Zeit für eine Tasse Tee und ein Plauderstündchen nehmen.
     
    Die Tür stand offen, und Lindell lugte hinein. Ottosson saß am Schreibtisch. Sein Blick war auf ein Blatt Papier vor ihm gerichtet. Sie hörte ihn summen. Dann drehte er das Blatt um und seufzte.
    »Störe ich?«
    Ottosson zuckte zusammen, schaute auf und seine erste Verwirrung wich einem Lächeln.
    »Habe ich dich erschreckt?« fragte sie.
    »Nein, aber was ich gerade gelesen habe, hat mich erschreckt.«
    Er sagte nicht mehr darüber, sondern betrachtete sie.
    »Du siehst gut aus«, meinte er.
    Lindell lächelte. Das sagte er immer, auch wenn es ihr miserabel ging.
    »Was machst du gerade?«
    Ottosson überhörte ihre Frage und erkundigte sich, wo Erik war.
    »Er liegt draußen im Wagen und schläft.«
    Der Kommissariatsleiter erhob sich von seinem Stuhl, und Lindell sah, daß er wieder Rückenschmerzen hatte.
    »Danke, ich kann mich beklagen«, sagte er, als er ihren Blick bemerkte.
    Gemeinsam gingen sie hinaus, und Ottosson schaute sich den Jungen an. Ein anderer Kollege kam vorbei, blieb stehen und beugte sich ebenfalls über den

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