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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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über wen?«
    »Über Papa«, sagte Justus und sah sie mit diesem schonungslosen, direkten Blick an, der keine halben Wahrheiten oder Ausflüchte erlaubte. »Er hat gesagt, Papa stamme von Tattaren ab.«
    »Das stimmt nicht«, erwiderte Berit. »Überleg mal. Er hatte doch helle Haare.«
    »Aber Lennart hat dunkle.«
    »Na ja, so was reden Kinder so daher. Heute gibt es überhaupt keine Tattare mehr wie früher. War er gemein zu dir? Wer war es?«
    »Patrik«, sagte Justus, »aber der spinnt sowieso. Patriks Vater schlägt seine neue Frau.«
    »Was sagst du da?«
    »Das weiß doch jeder.«
    Sie dachte über die Worte nach. Ihm würde natürlich das eine oder andere zu Ohren kommen, aber sie machte sich deshalb keine großen Sorgen. Er war es gewohnt, sich zu wehren. Justus sah manchmal vielleicht etwas weich aus, aber man irrte sich, wenn man glaubte, daß er sanft wäre. Er erinnerte in der Beziehung an John.
    Bei dem Gedanken an John schluchzte sie auf. Justus starrte ins Leere, ehe er seine Hand auf ihren Schoß legte.
    »Papa wollte, daß wir umziehen«, sagte er. »Ich will das auch.«
    »Wohin sollen wir denn ziehen? Wann hat er das gesagt?«
    »Im Herbst. Weit weg.«
    »Er hat manchmal geträumt, das weißt du, aber ich glaube eigentlich, daß er sich hier wohl gefühlt hat.«
    »›Ich will raus aus dieser Scheißstadt‹, hat er gesagt.«
    »Das hat er gesagt?« fragte Berit und starrte ihren Sohn verblüfft an. »Scheißstadt?«
    Justus nickte und stand auf.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich muß die Fische füttern«, sagte er.
    Berit betrachtete seinen Rücken und Nacken. Er bewegte sich wie John. Die Bewegungen über der Wasseroberfläche des Aquariums waren die gleichen wie bei seinem Vater. Die Buntbarsche näherten sich mit wedelnden Bewegungen, in schönen Schwärmen, so daß das Auge sie wie einen einzigen Körper wahrnahm.
    Da klopfte jemand an die Tür, er klingelte nicht, sondern klopfte immer weiter. Justus ließ die Dose mit dem Fischfutter fallen und starrte in den Flur hinaus. Berit stand auf, hatte jedoch das Gefühl, ihre zittrigen Beine würden sie nicht tragen. Sie sah zur Uhr auf dem Büfett.
    »Soll ich aufmachen?« fragte Justus.
    »Nein, ich gehe schon«, antwortete sie und setzte sich in Bewegung.
    Sie ging in den Flur. Das Klopfen hatte aufgehört. Berit legte die Sicherheitskette vor und öffnete die Tür vorsichtig einen Spaltbreit. Lennart stand davor.
    »Warum klopfst du denn so?«
    Sie erwog, ihn nicht hereinzulassen, aber dann würde er im Treppenhaus einen Höllenlärm veranstalten, also konnte sie ihm genausogut aufmachen. Er schoß herein.
    »Bist du betrunken?«
    »Komm mir nicht damit! Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so nüchtern gewesen. Du dreckige Tussi!«
    »Hau ab!« rief Berit verbissen und öffnete wieder die Tür, hielt sie weit auf und starrte Lennart an.
    »Laß das, ich gehe, wann ich will. Du wirst mir erst so einiges erklären.«
    »Justus, geh in dein Zimmer«, sagte Berit.
    Der Junge stand in der Tür zum Wohnzimmer, machte aber keine Anstalten, in sein Zimmer zu gehen.
    »Man hört da so einiges«, meinte Lennart.
    »Justus, geh in dein Zimmer«, wiederholte Berit mit immer schriller werdender Stimme. Sie stellte sich in das Blickfeld zwischen ihrem Sohn und ihrem Schwager.
    »Verschwinde«, zischte sie. »Daß du es wagst, hierher zu kommen und rumzubrüllen.«
    »Ich habe mit Mossa und Micke gesprochen«, erwiderte Lennart ruhig.
    Berit schaute sich um. Der Junge stand noch da, wie versteinert.
    »Geh weg, ich bitte dich. Wir können später reden.«
    »Es gibt kein später«, sagte Lennart.
    Schweigend maßen sie ihre Kräfte. Wenn er wenigstens betrunken wäre, dachte sie, dann wäre es leichter, aber ihr Schwager sah ungewöhnlich gesund und sauber aus, hatte gerötete Wangen und stank nicht nach Schweiß und Alkohol.
    »Was ist mit deiner Lippe passiert?«
    »Das geht dich einen feuchten Kehricht an. Wir wollen uns hier nicht über meine Lippen unterhalten, sondern eher über deine«, sagte er mit einem Grinsen, zufrieden mit seinem spontanen Scherz.
    Berit senkte den Kopf und atmete tief durch.
    »Lennart, bitte, denk an Justus. Er hat seinen Vater verloren. Er kann nicht noch mehr verkraften. Es reicht, wir haben genug. Wir …«
    Sie schluchzte auf.
    »Jetzt flennst du, aber darüber hättest du früher nachdenken sollen.«
    Berit ging zu dem Jungen, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen.
    »Justus, ich möchte, daß

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