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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Gelaber verabscheut, Ymergatan hier und Billard da. Das ist doch verdammt noch mal alles schon eine Ewigkeit her! Was gibt es da noch zu erzählen? Der kleine Ganove, der seine Umgebung terrorisiert hat. Verpiß dich, du Scheißratte! Du denkst, ihr wärt was gewesen, richtige Könige, aber vom Klauen und Schnüffeln bekommt man nur eine weiche Birne. John hatte den Mumm, das alles hinter sich zu lassen, aber du kriechst immer noch in der Scheiße rum. Weißt du, daß John dein verdammtes Gequatsche verabscheut hat, er hat es sich bloß angehört, weil du sein Bruder warst, sonst hätte er dich schon vor Jahren rausgeworfen.«
    Berit verstummte und atmete schwer. Lennart lächelte sie höhnisch an, aber sie konnte das Entsetzen in seinen Augen sehen und bekam für einen Moment ein schlechtes Gewissen. Sein Grinsen erstarrte zu einer makabren Grimasse, die sich jedoch wieder auflöste und dem Ausdruck verzweifelter Angst wich. Er zog sich zurück, ins Treppenhaus, immer noch mit erhobenem Kopf, aber dann kam das Zucken, das Berit so gut kannte. Er sog Luft in die Nase, senkte schnell den Kopf auf die Brust, und ein Zittern lief durch seinen Körper. Sein Blick wurde unstet, er drehte sich um und floh mit polternden Schritten die Treppe hinab.
    Wie in einem Nebel hörte sie die Haustür zuschlagen. Sie schloß die Wohnungstür und sank zu Boden. Das einzige Geräusch war das Surren der Aquariumpumpe. In Justus’ Zimmer war es still. Berit sah auf. Die Angst und die Fragen des Jungen schienen durch die verschlossene Tür zu pulsieren. Sie mußte aufstehen und zu ihm gehen, war dazu aber noch nicht im Stande. Erst mußte sie neue Kraft schöpfen. Sie hatte das Gefühl, ihr Körper würde ihr nicht länger gehorchen. Die Anschuldigungen ihres Schwagers und ihr Gegenangriff hatten Berits letzte Kraftreserven erschöpft. Lange hatte sie sich zusammengerissen und ihre Zeit Gesprächen mit Justus gewidmet. Abends hatten sie dicht beisammen auf dem Sofa gesessen, ferngesehen, sich aber auch unterhalten. Berit hatte sich an Episoden in ihrem und Johns Leben erinnert und Bilder heraufzubeschwören versucht, die Justus im Gedächtnis behalten sollte. Sie hatte Justus von Johns Jugend erzählt, das Schlimmste ausgelassen, berichtet, wie tüchtig und geschätzt er in der Werkstatt gewesen war, hatte von seinem großen Wissen über Buntbarsche gesprochen und darüber, wie sehr er seinen Sohn geliebt hatte. Sie wußte, daß die Toten Seite an Seite mit den Lebenden wandelten. Nun wurde der Mythos John erschaffen, das Bild eines Vaters, dessen ein und alles die Familie gewesen war, dessen Handeln durch seinen Traum von einer glücklichen Kindheit für Justus geleitet wurde.
    Am Vorabend hatte sie Justus verraten, daß John bei der Geburt seines Sohnes ein Sparbuch eröffnet hatte, auf das er jeden Monat, egal wie knapp bei Kasse sie auch gewesen waren, hundertfünfzig Kronen eingezahlt hatte. Sie hatte das Buch herausgesucht, und Justus hatte lange mit dem Sparbuch in der Hand dagesessen.
    Jetzt drohte Lennart zunichte zu machen, was sie aufzubauen versucht hatte, und die zweifache Trauer zwang sie zu Boden. Wie lange würden ihre Kräfte noch reichen? Mit ihrer Arbeit im Pflegedienst verdiente sie nicht genug Geld, und die Möglichkeiten, eine ganze Stelle zu bekommen, waren begrenzt. Sie hatte keine Ausbildung, keine Beziehungen. Johns Lebensversicherung würde sicher einiges einbringen, sie wußte nicht wieviel, aber sie würden dennoch sehr sparsam leben müssen. Dabei wollte sie ihrem Sohn eigentlich so viel gönnen, vor allem jetzt.
    Mit großer Mühe kam sie wieder auf die Beine und stellte sich vor Justus’ Tür. Es war totenstill dahinter. Sie klopfte an und öffnete die Tür. Er saß auf dem Bett und nahm keine Notiz von ihr, als sie das Zimmer betrat.
    »Du glaubst ihm doch nicht? Er lügt doch nur.«
    Justus starrte auf das Bett.
    »Er ist einfach nur verwirrt. Er hat irgendwas aufgeschnappt und sucht jetzt einen Sündenbock. Hörst du, was ich sage?«
    Er nickte.
    »Als hätten wir es nicht auch so schon schwer genug«, seufzte sie und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen.
    »Ich bin nie untreu gewesen, habe niemals anderen Männern schöne Augen gemacht. Dein Papa genügte mir völlig, verstehst du? Wir haben uns gut verstanden. Die Leute wunderten sich immer, daß wir schon so viele Jahre zusammen waren, aber für John und mich gab es nichts anderes.«
    »Aber irgendwas muß doch gewesen sein«, sagte Justus

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