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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Boden, als er ins Schlafzimmer ging.
    Lindell hörte ihn dort herumlaufen, und sie nahm an, daß er sich anzog. Als er zurückkehrte, trug er denn auch eine Hose und ein T-Shirt. Das Tapestück auf der Lippe hatte sich gelöst.
    »Sie sollten die Wunde versorgen lassen. Sie muß vielleicht genäht werden.«
    »He, Bulle, noch nicht weg?«
     
    Lennarts Blick folgte ihr, als sie den Kinderwagen über die Straße schob und Kurs auf die Bushaltestelle nahm.
     
    »Verdammte Tussi«, murmelte er.
    Erst in diesem Moment drangen Mossas Abschiedsworte in sein Bewußtsein. Er hatte Berit eine »Hure« genannt, ein Wort, das dem Iraner nicht oft über die Lippen kam. Er konnte ein harter Bursche sein, aber seine Worte wählte er immer mit Sorgfalt. Wenn er »Hure« sagte, meinte er es auch, in dieser Hinsicht war er nicht wie manche andere, die das Wort bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in den Mund nahmen, wenn sie über Frauen sprachen. Alle, die Mossa kannten, wußten, daß er Frauen gegenüber höflich auftrat, seine greise Mutter mehr oder weniger vergötterte und stets daran dachte, Grüße an die Schwestern und Frauen seiner Freunde ausrichten zu lassen.
    Er hatte Berit eine Hure genannt. Das konnte nur eins bedeuten: Sie war John untreu gewesen. Rede mit seiner Frau, dieser Hure, waren seine Worte gewesen. Die Bedeutung von Mossas Äußerung traf Lennart nun mit voller Wucht. Hatte sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt?
    Die Müdigkeit war wie weggeblasen, er zog Strümpfe und Jacke an und war wenige Minuten später auf der Straße. Der Weg, den er nahm, war identisch mit jenem, den er langsam an dem Abend gegangen war, als er von Johns Tod erfahren hatte. Jetzt lief er fast, während Wut und unbeantwortete Fragen in seinem Kopf pochten.
    Der Schnee war genauso tief wie an jenem Abend. Auf dem Brantings torg war kein Traktor zu sehen, dafür aber eine Gang von Jugendlichen, die Weihnachtslieder grölten. Er blieb stehen und beobachtete sie. Hier hatte er selber früher einmal gestanden und das Maul aufgerissen, nachdem man ihn aus einem drogenfreien Luciafest im Jugendzentrum hinausgeworfen hatte, vierzehn Jahre alt und stockbesoffen. Er war ausgeschlossen worden, buchstäblich wie im übertragenen Sinne, was ihm noch heute mit einer Mischung aus Scham und Haß geradezu körperlich weh tat. Mein Gott, wie hatte er sie alle gehaßt, ein Fenster der Bibliothek eingeschlagen und mit Fahrrädern um sich geschmissen. Die Polizei hatte ihn festgenommen, und Albin hatte bezahlen müssen.
    Er ging zu den Jugendlichen.
    »Hat einer von euch ein Handy?«
    Sie starrten ihn an.
    »Ich muß mal telefonieren.«
    »Dann kauf dir doch selber eins.«
    »Ich brauch es aber jetzt.«
    »Es gibt Telefonzellen.«
    Lennart griff sich einen der Jungen.
    »Her mit dem Telefon, sonst bring ich dich um«, zischte er dem entsetzten Halbstarken ins Ohr.
    »Du kannst meins geliehen haben«, sagte ein Mädchen und streckte ihm ihr Handy entgegen.
    »Danke«, sagte Lennart und ließ den Jungen los. »Zwei Minuten«, ergänzte er und ging etwas zur Seite.
    Er rief Micke an, der auf dem Sofa eingenickt war und sich verschlafen meldete. Sie unterhielten sich ein paar Minuten. Anschließend warf Lennart das Handy in den Schnee und eilte weiter.
     
    Berit hatte gerade den Fernseher ausgeschaltet. Aus irgendeinem Grund interessierte sie sich seit Johns Tod mehr für die Nachrichten als früher. Sogar Justus saß davor. Vielleicht wollten sie ihr eigenes Unglück an allem anderen messen, was in der Welt passierte, und sehen, daß sie mit ihrem Elend nicht alleine waren. Im Gegenteil, die Gewalt verdoppelte sich und wurde auf dem Bildschirm endlos wiederholt.
    Sie warf die Fernbedienung auf den Tisch und legte ihre Hand auf Justus’ Schulter. Sie sah, daß er Anstalten machte, aufzustehen, aber sie wollte, daß er noch ein bißchen bei ihr sitzen blieb. Er drehte den Kopf und sah sie an.
    »Bleib doch noch einen Moment«, sagte sie, und zu ihrem Erstaunen ließ er sich gegen die Rückenlehne fallen.
    »Was sind Tattare?« fragte er.
    »Tattare? Nun ja«, antwortete Berit zögernd, »wie soll ich das erklären. Eine Art Volk, weder Zigeuner noch Schweden. Mit dunkler Haut und dunklen Haaren. Es gab Tattare-Familien. Dein Papa hat öfter von ihnen gesprochen. Die sind doch Tattare, hat er manchmal über Leute gesagt. Er sagte das immer, als wäre damit alles erklärt. Warum fragst du?«
    »Einer auf dem Hof hat das gesagt.«
    »Und

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