Der Tote in der Wäschetruhe
Auseinandersetzungen mit der Schwiegermutter habe der Angeklagte beigelegt, indem er einfach nach Hause fuhr, über das Wochenende bei den Eltern blieb und anschließend ohne Groll zurückkehrte und ohne Vorbehalte wieder aufgenommen wurde. In einer psychischen Zwangslage hätte sich der Angriff des Angeklagten zudem gegen die beiden Frauen als Auslöser der Auseinandersetzung und nicht gegen das unschuldige Kind gerichtet, ist die Auffassung des ersten Strafsenats.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer sowohl eine Affekthandlung wie auch eine verminderte Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Alkoholeinflusses zur Tatzeit ausgeschlossen und eine zehnjährige Haftstrafe gefordert. Dem Angeklagten sei aus Erfahrungen der Vergangenheit bekannt gewesen, dass erheblicher Alkoholgenuss bei ihm ungesteuerte abnorme Reaktionen hervorruft, die auch zu Tätlichkeiten führen, so die Begründung.
Dem widerspricht das Gericht nicht, erkennt aber dennoch auf eine verminderte Schuldfähigkeit. Der Angeklagte habe nicht gewusst, dass sich ein Erregungszustand, der auch unter normalen Bedingungen auftreten kann, bei ihm bereits durch geringe Mengen Alkohol verstärken könne. Genau das aber wurde durch die Untersuchungen an der Medizinische Akademie Dresden herausgefunden. Die ihn daheim behandelnden Ärzte hätten Frank Bärle Alkoholgenuss nicht untersagt, sondern lediglich zur Vorsicht geraten und empfohlen, sich nur ab und zu ein Glas Wein zu gönnen, steht dazu im Urteil. Der Angeklagte habe damit durch Alkoholmissbrauch nicht schuldhaft einen bereits bestehenden Erregungszustand verschärft. Das Gericht stellt jedoch auch fest, dass dennoch eine erhebliche Schuld bestehen bleibt. Es verurteilt den Angeklagten wegen versuchten Mordes im Zustand erheblich beeinträchtigter Zurechnungsfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren.
Christiane Stanze hat sich nach dem Verbrechen an ihrem Kind noch vor der Verurteilung von Frank Bärle getrennt. Folgeschäden für Claudius sind nicht bekannt.
DOPPELMORD IM HINTERHAUS
Cottbus im Winter 1975, fünf Tage vor Weihnachten. Es ist 3 Uhr morgens. Kaum ein Mensch ist zu dieser frühen Zeit auf den Straßen. Hin und wieder rumpeln Lastkraftwagen der Typen W 50 oder LO durch die Straßen, beladen mit Milch für Kauf hallen und Schulen oder mit Backwaren, die von der Großbäckerei zu den Handelseinrichtungen in der Stadt und der Umgebung gefahren werden. Nur hinter wenigen Fenstern in den Plattenbauten an den Peripherien der jüngsten Großstadt der DDR und in den altehrwürdigen und teils verfallenen Häusern in der Stadtmitte brennt Licht. Vor den Nachtschichtlern in den umliegenden Tagebauen, Brikettfabriken oder Kraftwerken liegen noch einige Stunden Arbeit. Die Frauen und Männer, die sie ablösen werden, genießen ihren Schlaf.
Bei Magdalene Bogner klingelt just in diese Stille hinein der Wecker. So wie jeden Tag in der Woche. Nach einem Blick auf die Uhr dreht sie sich noch einmal um. Wenig später schiebt sie das Federbett beiseite. Die Raumpflegerin ist das frühe Aufstehen gewöhnt. Bis zum Arbeitsbeginn bleibt ihr eine gute halbe Stunde. Ihre Arbeitsstelle, das »Haus des Handwerks« auf dem Cottbuser Altmarkt, liegt nur einen Katzensprung entfernt von ihrer Wohnung.
Gegen 3.45 Uhr trifft sie im Sitz der Handwerkskammer des Bezirkes Cottbus ein. Der Tag beginnt wie immer - fast wie immer. Ihr fällt auf, dass das Hinterhaus des Gebäudekomplexes, anders als sonst, in völliger Dunkelheit liegt. Dort wohnt Familie Ragow. Dabei müsste Hertha Ragow schon auf den Beinen sein, denn auch sie geht putzen.
Hat Hertha Ragow verschlafen? Ist sie krank? Hat sie Urlaub? So richtig macht sich Magdalene Bogner keine Gedanken. Sie arbeitet: Papierkörbe entleeren, Staub wischen, Fußböden reinigen. Das »Haus des Handwerks« hat viele Büros, und mit ihrer Kollegin Anna Bubner muss sie sich sputen, damit alles vor Arbeitsbeginn der Angestellten fertig ist.
Inzwischen ist es 4:30 Uhr. Die Raumpflegerinnen legen eine Pause ein. Sie brühen Kaffee auf und wickeln die Frühstücksbrote aus. Plötzlich hören sie Schritte in dem stillen Haus. »Bestimmt ist Hertha Ragow zu spät aufgewacht und hastet nun zur Arbeit«, denkt sich Magdalene Bogner.
Dann rumort es im Treppenhaus. Das Klappern von Schlüsseln dringt zu den beiden Frauen. Jemand schließt die Telefonzentrale auf, kurz danach klappt eine Tür. Die Putzfrauen hören eine aufgeregte männliche Stimme.
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