Der Tote in der Wäschetruhe
Cottbus. Der Vater war viele Jahre Kraftfahrer im VEB Textilreinigung. Aus gesundheitlichen Gründen musste er aus diesem Beruf ausscheiden. Er kam als Laborgehilfe bei der Bezirksdirektion Straßenwesen unter.
Viel Zeit benötigt Max Gärtner nicht für seine Morgentoilette. Das leicht gewellte Haar reicht über die Ohren bis zum Nacken und ein kleiner Oberlippenbart soll ihm etwas mehr Männlichkeit verleihen. Wie üblich trinkt er zum Frühstück zwei Tassen Bohnenkaffee. Dabei hört er sich im Radio die Nachrichten und den Wetterbericht an und raucht eine Zigarette seiner Lieblingsmarke »Cabinet«. Gegen 6.15 Uhr verlässt er das Haus.
Es ist der übliche Tagesbeginn für den 25-Jährigen, wenn er Frühschicht hat im VEB Cottbusverkehr. Seit dem erfolgreichen Abschluss der zehnten Klasse ist er dort beschäftigt. Max Gärtner hat Schienenfahrzeugschlosser gelernt. Eigentlich wollte er Chemiefacharbeiter werden oder Elektriker. Beide Berufswünsche konnte er nicht verwirklichen. Vielleicht lag es daran, dass er seine Lehre nur mit der Note befriedigend abgeschlossen hat, obwohl er die Abschlussprüfungen der zehnten Klasse an der 12. Oberschule mit der Note »gut« bewältigt hatte und die Lehrer durchaus von ihm angetan waren. Sie schätzten ihn als einen »befähigten, interessierten, verantwortungsbewußten und gewissenhaften, kritisch denkenden und urteilenden Schüler« ein.
Die Schlosserarbeiten im Betrieb gehen ihm auch nach der Lehre nicht richtig von der Hand. Erst nachdem er die Fahrerlaubnis zum Führen von Straßenbahnen erworben hat und im Gleisbau Arbeitswagen chauffieren darf, fühlt er sich wohler.
Schon während der Schulzeit fällt auf, dass der Junge sich schwertut, Kontakte zu knüpfen. Er verbringt viel Zeit zu
Hause bei den Eltern. Er begleitet sie in die Gartengaststätte, fährt mit ihnen gemeinsam in den Urlaub oder zu Verwandten. Daheim hört Max gern Schlagermusik, liest viel, vor allem Indianer-, Kriminal- und Abenteuerbücher. Intensiv kümmert sich der Heranwachsende um seinen Wellensittich und kurvt in der Freizeit mit dem Moped durch die Gegend, meistens jedoch allein. Zwar spielt Max Gärtner bei der BSG »Fortschritt« Fußball, doch seine spielerischen Fähigkeiten sind bescheiden. Dass er kleine Dienste wie das Schleppen des Mannschaftskoffers oder die Versorgung seiner Mitspieler mit Halbzeitgetränken bereitwillig erledigt, ändert nichts daran, dass der schmächtig wirkende Junge von seinen Mitspielern als Versager abgestempelt und verspottet wird, zumal er sich schämt, mit den anderen nackt zu duschen. Nur einmal, zum Ende der Schulzeit und zu Beginn der Lehre, hat er einen richtigen Freund. Beide haben sich während des Englischunterrichts kennengelernt. Stundenlang spielen sie Schach miteinander und hören gemeinsam Musik.
Als sich der Freund das Leben nimmt, bricht für Max Gärtner eine Welt zusammen. Fast ein halbes Jahr lang spricht er kaum mit jemandem, auch nicht mit den Eltern, antwortet selbst auf Fragen nur kurz und mürrisch. Seine Kontaktschwierigkeiten verstärken sich. Im Wohngebiet wirkt der inzwischen 24 Jahre alte Mann ehrenamtlich im Aktiv für Ordnung und Sicherheit mit. Auch dort fällt auf, dass Gärtner sehr an seiner Mutter hängt und wohl noch nie eine Freundin hatte. Im Betrieb ist er als Einzelgänger bekannt. Zwar nimmt er schon mal an Betriebsvergnügen teil, hat auch im Umgang mit Kolleginnen keine Probleme, doch viel lieber ist er allein. Das Arbeitskollektiv bedeutet ihm nichts.
Genau diese Distanz und Abneigung anderen gegenüber nagen an diesem Morgen an ihm. Am Vormittag muss sich Max Gärtner vor einem Kollektiv, den Mitgliedern der betrieblichen Konfliktkommission, verantworten. Im Dezember 1982 war er mit seinem Arbeitswagen auf ein anderes Fahrzeug geprallt. Ein Schaden von 1000 Mark ist dabei entstanden. Ihm wird die
Schuld gegeben, und weil er das nicht einsieht, wird er vor die Kommission zitiert. Außerdem muss er nach der Frühschicht und der Rechtfertigung vor dem betrieblichen Gremium am Abend noch eine Schicht zur Reinigung der Gleisanlagen schieben. Er ist alles andere als gut gelaunt.
Einen Tag später, am 5. März um 6.45 Uhr. Im Sozialgebäude des Südfriedhofs sind die Friedhofsarbeiter versammelt. Der Chef, Gottfried Werker, hat eine Arbeitsberatung angesetzt. Mit dabei ist auch Heinrich Bärmann. Der sitzt auf seinem Holzstuhl wie auf Kohlen. Gleich nach der Beratung meldet er sich bei Werker ab. Er müsse
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