Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
einem geblümten, mütterlichen Kattunkittel, doch auch, um sich zur Wehr zu setzen gegen den Mann, der sie – da war es noch ein Spiel gewesen und beide knappe sechzehn – auf die Kieselsteine gedrückt hatte, unten, am Strand, der sie – Macht des Geschlechts – nun auf das Ehebett drückte, das zum Glück weich gefedert nachgab.
Bald würde der Ehemann völlig hinter dem Riesenkörper seiner Frau verschwinden, schon war er fort, einen Monat nach der Geburt von Anna, fort aus dem Leben der Kinder und aus dem Leib der mamma , hinein ins Leben einer neuen, jungen, schlanken Frau. Wie man es jeden Tag in der Zeitung nachlesen konnte. Von dem Tag an, als der Ehemann auf und davon war – wie lange war das her? mehr als siebzehn Jahre – war wenigstens das wöchentliche Gerammel weggefallen, dieses Herumgerüttel und -gezerre, das sie für Liebe gehalten hatte, diese immergleiche Folge aus Reinschieben, Rütteln, Stöhnen – dann ein Aufbäumen, wie eine satte Zecke fiel er ab, und sie selbst lag plattgedrückt da, eine zweidimensionale Frau.
Es blieben die vier Kinder Und Zeit zum Nachdenken, Stunde um Stunde, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Da hatte sich Wut zusammengerottet, bis sie zu einem ansehnlichen Berg angewachsen war, einem Menschenvesuv, der sich irgendwo entladen mußte, explodieren, oder ganz allmählich Luft ablassen.
Kurz vor Weihnachten hatte es begonnen, am einundzwanzigsten Dezember, Stichtag. Es war ein milder Abend, unten am Lungomare, sie hatte den Bus verpaßt und keine Lust zu warten, war zu Fuß los in Richtung Fuorigrotta, als einer dieser Kerle, die regelmäßig dort standen, den Rücken zum Meer, oder eher: lungerten, sie angesprochen hatte. Und was hatte sie getan? Mitgegangen war sie, ganz einfach, einfach so, vielleicht gab es für solche Momente keine Gründe, jedenfalls hatte sie keinen finden können, außer Neugier oder einer Laune des Augenblicks.
Am wichtigsten war: Es hatte ihr gefallen. Zum ersten Mal seit Jahren, nein, seit sie es überhaupt mit Männern machte, hatte sie so etwas wie Lust verspürt. Verrückte Welt! Raus aus dem Kittelkleid, runter das zweite Gesicht aus Tabakladen, Haushalt, Mutterfreuden. Es tat gut zu entdecken, daß dieser Körper die Männer reizte und nicht nur einen, nein, viele, auch wenn sie sich kaum an die Namen erinnerte, sicherlich hieß einer von ihnen Massimo, ein anderer Ciro, Salvatore, Ignazio, Gennaro, wie die Männer in Neapel eben hießen. Jedem das Seine, dachte sie, nein: jeder das Ihre. Und eine erste Prise Selbstachtung. Es ging eben auch anders und war, trotz oft unbequemer Lage, ein Triumph, ein Hochgefühl, wiederholt, tagelang. Nie traf sie sich mit dem gleichen Mann, oft wechselte sie Lage und Umgebung. Sie begann, auf ihre wirkliche Stimmung zu achten, die Körperstimmung, die Seelenstimme, sagte schon mal nein, wurde wählerischer. Ein Nebeneffekt: das Abnehmen klappte wie von selbst. Keine Reis-, Saft-, Körnerkuren, keine Schlankheitstees oder -pillen, kein Fitneßprogramm, keine Sitzungen bei Spezialisten für Leib und Seele. Und nirgendwo ein schlechtes Gewissen in Sicht. Pro Orgasmus nahm sie ein Pfund ab, zum Beispiel, ja, so ließ es sich rechnen. Sie begann zu ahnen, daß ihre Fleischmassen etwas verbargen, dessen Existenz sie seit langer Zeit vergessen hatte, eine antike, mit Rissen durchzogene Vase, einen Schwan wie in der Geschichte vom häßlichen Entlein. Sie mußte es darauf ankommen lassen. Etwas brach auf. Etwas heilte.
Dann war dieser Kerl in ihr Leben getreten. Sie spürte seine Hände auf ihrer Haut, hörte seine Stimme, sah ihn vor sich, begann zu schwitzen. Unhörbar flüsterte sie seinen Namen. Aus, aus und vorbei. Bleich sah er aus, wie er dort lag, schneeweiß geradezu, kaum eine Falte, helle Haut, schwarzes Haar, ein Prinz. Das Goldkettchen im Brusthaar glitzernd, wie ein Sonnenstrahl frühmorgens auf dem Meer, kalt war es, das Wasser, es stand ihm bis zum Hals, sie wartete auf ein Prusten, auf tausend Wassertröpfchen, zusammenklebende Wimpern, verführerisch, lockend, salzig auch die Lippen. Aber nein, das waren andere Bilder, andere Zeiten, wie hatten sie sich nur dazwischengedrängelt, da konnte man ja ganz durcheinanderkommen. Seine Augen waren dunkel, schwarz und unergründlich, schwarz wie die Nacht, ein Totenfluß, gern hätte sie auf den Grund geblickt, vielleicht wuchsen dort Korallen oder zarte Gräser … Irrtum, nur keine sentimentalen Reisen, da gab es nichts zu sehen, der Grund
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