Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
aus dem Augenwinkel etwas Gelbes heranrollen und direkt neben ihr halten. Eine Tür ging auf: » Taxi? « Sesam, öffne dich, ein Taxi. Ein Retter in Blech.
Die Stadt wirkte wie eine einzige schwarze Pfütze. Rechts und links spritzte das Wasser hoch, das sich auf dem Basaltpflaster staute und nur unter Schwierigkeiten abfloß. Die Straßen waren menschenleer, alle Fensterläden zugeklappt, die meisten Bars geschlossen. Das Taxi brauste den Corso Umberto I. entlang wie ein Motorboot. Marlen wurde in die leicht ramponierten Polster gedrückt. Einen Schirm hatte sie nicht dabei, wozu auch. Wenn sie sich allerdings ihre letzten Besuche in Neapel in Erinnerung rief, mußte sie zugeben, daß es jedesmal geregnet hatte. Wie gut das Vergessen in mancher Hinsicht klappte. Sie legte den Kopf zur Seite, lächelte vor sich hin, nickte den Häuserfassaden, den geschlossenen Fensterläden, der abblätternden Farbe zu wie alten Bekannten. Zwei Jahre lang war sie nicht hier gewesen – ein Sprung in der Ewigkeit. Ob sich viel verändert hatte? Idiotisch, dachte sie, warum sollte sich etwas verändern, nur weil ich weg bin?
Der Taxifahrer, er war Mitte bis Ende dreißig, musterte sie von der Seite. »Zum ersten Mal hier?«
»Nein.«
»Ah.« Er schwieg. »Sie kennen die Stadt?«
»Ein wenig«, sagte Marlen wortkarg.
Der Mann stieg auf die Bremse und brachte das Taxi an einer roten Ampel zum Stehen, obwohl gar kein Verkehr war.
»Nicht zu fassen«, entfuhr es Marlen.
»Was?«
»Daß Sie bei Rot halten.«
»Warum? Hält man etwa bei Ihnen zu Hause an einer roten Ampel nicht?«
»Doch.«
»Na sehen Sie.«
Der Regen trommelte aufs Autodach, der Taxifahrer trommelte auf das Lenkrad. Kräftige Hände, lange Finger. »Wir sind hier mitten in Europa, in einer zivilisierten Welt, Neapel war einmal die Hauptstadt Europas, hier gab es schon Straßenlaternen, noch bevor im Norden die Petroleumlampe erfunden wurde, und wo fuhr die erste Eisenbahn? Von Neapel nach Portici.« Der Taxifahrer legte richtig los: »In den letzten hundert Jahren aber ging es bergab mit der Stadt und der Moral, hinein in den Morast, ins Chaos, viele meinen, daß Regeln extra für sie außer Kraft treten oder daß es Spaß macht, sie zu überschreiten, bei Rot über die Ampel, Autofahren ohne Führerschein, Arbeit nur nach Bestechung, den Müll vor die Tür des Nachbarn kehren, Statuen den Kopf abschlagen, und nach mir die Sintflut.« Es klang auf gebracht, zornig, dann zuckte er mit den Schultern. » C’aggie ‘a fa’ .«
»Eine wahre Sintflut«, stimmte Marlen zu.
»Schlechte Karten für Touristen.« Ironischer Unterton, eine Prise Schadenfreude.
»Ich bin ja nicht wegen des Wetters hier«, sagte Marlen, was nur die halbe Wahrheit war.
»Das kann man nur hoffen«, brummte der Taxifahrer. »Sie fahren vermutlich weiter auf die Inseln, Capri, Ischia.«
»Ich bin auch nicht hier, um Urlaub zu machen«, stellte Marlen klar. Was ebenfalls nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. Doch wer kannte schon die Wahrheit… Klar, sie wollte an einigen Artikeln arbeiten, recherchieren, sich umtun, aber Urlaub vom Alltag in Deutschland und von Luzie, ihrer Tochter, war eine Fahrt nach Neapel allemal. Ganz abgesehen davon, daß die Trennung von Fritz verdaut werden wollte, zehn zähe und auch zärtliche Jahre, abgelaufen, aus und vorbei.
»Nein?« Die Stimme des Taxifahrers klang bedauernd, erstaunt. Dann, als sei endlich der Groschen gefallen: »Sie haben einen Freund. Un amico .«
»Genau«, sagte Marlen, mit dieser Art von Mißverständnis vertraut. »Sogar mehrere. Sie etwa nicht?«
Der Taxifahrer warf ihr einen belustigten Blick zu, der besagte, daß er den kleinen Seitenhieb wohlwollend registriert hatte. Er hatte ein offenes, waches Gesicht, in dem jetzt erstmalig eine Spur von Begehren aufblitzte. Marlen verspürte ein wohlbekanntes Ziehen auf der Haut. Attenzione!
»Sie sprechen ausgezeichnet Italienisch.«
»Bisher habe ich noch nicht viel gesagt.«
»Aber Komplimente kommen immer gut an«, konterte der Taxifahrer lachend.
»Kommt drauf an, wer sie macht«, sagte Marlen.
»Sehen Sie, ich habe es ja gesagt.«
»Was?«
»Daß Sie ausgezeichnet Italienisch sprechen. Mit dem harten R, das so erotisch klingt.«
Marlen runzelte die Stirn. Das war nun doch ein wenig zu viel des Guten: »das erotische harte R«. Wie oft wurde aus ihrem rollenden ein stolperndes R, das sie verärgert lieber gleich dort ließ, wo die meisten Deutschen ihr R nun einmal
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