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Der Tote vom Kliff

Der Tote vom Kliff

Titel: Der Tote vom Kliff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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die derzeit bei Heide endende Autobahn bis zur dänischen Grenze
weiterzuführen. Und weil man ihnen in ganz Nordfriesland keinen einzigen
Autobahnkilometer zubilligte, erklärten sie kurzerhand jeden Straßenkilometer
zur Autobahn und fuhren entsprechend.
    Lüder war nicht überrascht, als er bei regennasser
Straße und schlechter Sicht trotz der überhöhten einhundertdreißig
Stundenkilometer überholt wurde. Er fuhr am Stollberg mit dem Aussichtsturm
vorbei, der mit achtundfünfzig Metern höchsten Erhebung der Region, passierte
Bredstedt und steuerte Husum an. Unterwegs stellte er erstaunt fest, dass man
in Nordfriesland offenbar alle Mittel für die Infrastruktur in Kreisverkehre
investiert hatte. Ständig stoppte solch ein Rondell den Verkehrsfluss. Die
Umgehung Husums führte ihn am Messegelände vorbei. Wie stolz waren die
Einheimischen, dass dort die größte Windenergiemesse der Welt beheimatet war.
    Lüder hatte sich entschlossen, nicht den Weg über
Schleswig zu nehmen, sondern quer durch das Land Richtung Kropp zu fahren. Er
bremste ab und war ein wenig verärgert, weil das Fahrzeug hinter ihm, das schon
eine Weile zu dicht auffuhr, auch den Blinker setzte und von der
Umgehungsstraße abfuhr. Der Wagen bog hinter Lüder auf die Landesstraße und
behielt den zu geringen Abstand bei.
    Lüder beschleunigte. Er war sich bewusst, dass er für
die Straßen- und Sichtverhältnisse zu schnell war. Er hielt sich für einen
sicheren Fahrer. Aber das nahm die Mehrheit der Autofahrer ebenfalls für sich
in Anspruch, dachte er. Neben dem Fahrtraining der Polizei hatte er im
vergangenen Jahr im Personenschutz eine zusätzliche Spezialausbildung am
Lenkrad genossen. Doch alle Fahrtechnik hob nicht die Gefahren der nassen
Straße und der Dunkelheit auf. Er hatte Verantwortung für die Familie, aber
auch für andere Verkehrsteilnehmer, die unvermittelt vor ihm auftauchen
könnten.
    Er nahm ein wenig Gas weg. Fast wäre das Auto hinter
ihm aufgefahren, so bedrohlich nahe kamen die Scheinwerfer. Im Unterschied zur
Bundesstraße herrschte hier kaum Verkehr. Lüder blendete das Fernlicht auf und
konnte eine längere Gerade erkennen. Er trat das Gaspedal durch, und der BMW reagierte augenblicklich. Für einen
Moment schien es, als würden die Räder durchdrehen, dann aber zog ihn die
entfesselte Kraft des Motors nach vorn. Der Abstand zum anderen Fahrzeug wurde
größer. Lüder amtete auf. Doch der Fahrer gab nicht nach. Es war nur ein kurzer
Moment gewesen, dann wuchsen die Scheinwerfer im Rückspiegel wieder an.
    Du bist zu alt, sagte sich Lüder, um dir mit einem
pubertären Jungfahrer ein widersinniges Verfolgungsrennen zu liefern. Er
entspannte langsam den Gasfuß und ließ den BMW ein wenig langsamer werden. Die Tachonadel zeigte immer noch einhundertzwanzig
Stundenkilometer an.
    Ostenfeld hieß der Ort, der wie ausgestorben wirkte.
Die Straßenbeleuchtung schien nur eine Alibifunktion zu haben. Richtige
Helligkeit verbreitete sie nicht. Die Lichter hinter den Fenstern der Häuser
wirkten friedlich. Lüder konnte ihnen nur aus den Augenwinkeln Beachtung
schenken. Er erschrak, als er registrierte, dass er immer noch mit über achtzig
Stundenkilometern durch die Dorfstraße jagte. Das war unverantwortlich.
    Das Fahrzeug hinter ihm hatte jetzt ein wenig mehr
Zwischenraum gelassen. Vielleicht kannte der Fahrer die Strecke besser als
Lüder, wusste, wo man schnell fahren konnte und wo Gefahren lauerten wie in
dieser Ortsdurchfahrt. Die Straße machte eine leichte Linkskurve, und es
kostete Lüder viel Aufmerksamkeit, dem Straßenverlauf bei dieser
Geschwindigkeit zu folgen. Durch solch einen Blödsinn geschehen die Unfälle,
die hinterher niemand versteht und die in der Presse mit »verantwortungsloser
Raserei« überschrieben werden, schalt er sich selbst. Er bremste leicht ab,
verringerte das Tempo und fuhr mit einer immer noch überhöhten, aber nicht mehr
waghalsigen Geschwindigkeit weiter. Das Auto hinter ihm schien an seiner
Stoßstange zu kleben, wenn auch mit ein wenig mehr Abstand. Zumindest hätte es
bei einer Kontrollmessung für eine erhebliche Strafe gereicht.
    Wäre Große Jäger mit im Wagen, dachte Lüder, würden
wir jetzt das Fahrzeug hinter uns stoppen, die Personalien aufnehmen, und der
Fahrer würde die verdiente Anzeige erhalten.
    Der nördliche Landesteil Schleswig-Holsteins gehört
mit zu den dünn besiedelten Gebieten Deutschlands. Die kleinen Orte liegen weit
auseinander, und nur sehr vereinzelt

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