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Der Tote vom Kliff

Der Tote vom Kliff

Titel: Der Tote vom Kliff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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zu erkennen.
Mit dem Display seines Handys versuchte Lüder, Einzelheiten auszumachen. Es
bedurfte viel Phantasie, um inmitten der Trümmer zu erkennen, dass ein Mensch
auf dem Beifahrersitz gehockt hatte. Es waren mehr die Kleidungsfetzen, die
Zeugnis davon lieferten.
    Das Dach war eingedrückt und hatte sich auf die
vordere Sitzreihe des Audis niedergedrückt. Lüder meinte, hinter dem Lenkrad
den Fahrer erkennen zu können.
    »Hallo«, rief er und erhielt keine Antwort. Er hielt
die Luft an. Nichts war zu hören, nur das Schaben eines sich noch drehenden
Rades, als es gegen Blech schleifte.
    Er versuchte, an der Tür zu zerren, aber es gelang ihm
nicht, diese auch nur einen Millimeter zu bewegen. Er stemmte seinen Fuß gegen
die verbeulte Karosserie und zog mit beiden Händen am Griff. Nichts bewegte
sich. Hilflosigkeit erfasste Lüder. Er konnte nichts ausrichten.
    Mit fahrigen Bewegungen griff er zum Handy und wählte
die Einhundertzwölf. Dann gab er dem Mann in der Rettungsleitstelle den
Standort des Unfalls durch und beantworte die Fragen des erfahrenen Helfers
nach Art und Schwere des Unfalls, beteiligter Personen und Ähnlichem.
    Noch einmal versuchte er, an den Fahrer heranzukommen.
Es gab trotz aller Anstrengungen keine Möglichkeit. Vorsichtig brach Lüder das
zersplitterte Glas der Frontscheibe heraus und versuchte, sich zwischen
Motorhaube und eingedrücktem Dach hindurchzuzwängen. Aber der Platz war zu
gering. Mutlos ließ er von seinem Vorhaben ab und wartete auf das Eintreffen
der Rettungsdienste.

SECHS
    Die kunstvoll in die Luft geblasenen Ringe wurden vom
Wind auseinandergerissen, kaum dass sie zwischen Große Jägers Lippen
herausgetreten waren. Der Oberkommissar stand unter dem Vordach, das ihn aber
nur unzureichend vor dem Sylter Regen schützte. Er hatte die zweite Zigarette
fast zu Ende geraucht und dachte voller Wehmut an Polizeidirektor Grothe, den
in seinen Augen »toleranten« ehemaligen Chef der Husumer Direktion. Dort hatte
ihn niemand zum Rauchen vor die Tür geschickt.
    Er drückte die Zigarettenkippe aus und versenkte den
Stummel im mit Sand gefüllten Gefäß, das man an dieser Stelle für ihn und seine
mitrauchenden Kollegen platziert hatte. Dann kehrte er in die Westerländer
Dienststelle zurück.
    Seine Laune war eher durchwachsen. Hauptkommissar
Paulsen hatte am Vorabend, nachdem Lüder sich auf den Weg nach Kiel gemacht
hatte, erklärt, er müsse sich um seine Familie kümmern, und hatte Große Jäger
sich selbst überlassen.
    Mit dem Instinkt des erfahrenen
»Um-die-Häuser-Ziehers« hatte sich Große Jäger aufgemacht, das Westerländer
Terrain zu erkunden. Es hatte vier Bier gekostet, um im dritten Lokal auf
Gesprächspartner zu stoßen, die ihm ein wenig Unterhaltung für den Feierabend
boten. Dabei war es Große Jäger nicht unwillkommen gewesen, dass es sich um
zwei Frauen handelte. Die beiden mochten zwischen vierzig und fünfzig gewesen
sein, keine aufpolierten Schönheiten, aber von durchaus angenehmer Erscheinung.
Sie hatten sich über einen bunten Strauß verschiedener Themen unterhalten, und
er hatte erfahren, dass die Rotblonde eine verheiratete Angestellte aus Bochum
war, die ihre dunkelhaarige Freundin aus derselben Stadt ein paar Tage auf die
Insel begleitete. Jutta, mit attraktiven weiblichen Rundungen ausgestattet, war
Bibliothekarin.
    »Du bist eben doch nur ein Jäger, und kein großer«,
hatte der Oberkommissar nach Mitternacht mit sich selbst gehadert, als sich die
beiden Frauen verabschiedet und ihm noch einen schönen Abend gewünscht hatten.
    Er hatte seinen Durst mit zwei weiteren Bieren
gestillt und war sich im Laufe der Nacht erneut gram, weil seine Nieren ihm
mehrfach signalisierten, dass sie noch hervorragend arbeiten würden, was aber
zulasten eines durchgängigen Schlafs ging.
    »Es gibt ein paar Neuigkeiten«, sagte Paulsen, als
sich Große Jäger am Schreibtisch des Hauptkommissars niederließ, und schob ihm
einen gefüllten Kaffeebecher zu. Während Große Jäger beidhändig das Trinkgefäß
umschloss und schlürfend einen Schluck nahm, fuhr Paulsen fort: »Wir haben in
der Zwischenzeit die Merckel und den Meyerlinck befragt. Beide gaben an, nichts
von der Mappe gewusst zu haben, die wir am Tatort in den Lister Dünen gefunden
haben. Schon gar nicht vom Inhalt.«
    »Kannten die beiden denn die Mappe?«
    »Ja. Sie haben eindeutig bestätigt, dass sie Dr.
Laipple gehörte. Er pflegte darin Papiere zu transportieren, an denen er
aktuell

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