Der Tote vom Kliff
arbeitete. Doch weder die Hausdame noch der Leibwächter waren jemals in
fachliche Dinge aus dem Bankalltag eingebunden gewesen.«
»Hmh«, knurrte Große Jäger.
»Klaus Jürgensen hat sich gemeldet.«
»Was soll man von einem Flensburger schon erwarten? In
der Gegend kann man die Nacht nur nutzen, um zu arbeiten.«
»Die Makarow scheint die Tatwaffe zu sein. Endgültigen
Aufschluss wird erst die ballistische Untersuchung der Kieler Kriminaltechnik
geben. Dafür hat Jürgensen die Fingerabdrücke sicherstellen können.«
»Und?«
»Unbekannt. Sie sind nicht in unserer
daktyloskopischen Datei enthalten.«
»Das wäre zu schön gewesen, wenn uns der Name des
Täters auf einem Silbertablett präsentiert worden wäre. Vielleicht hat mein
Lülü doch recht.«
»Wer?«, fragte Paulsen.
»Lülü. Lüder Lüders. Ich darf mich glücklich schätzen,
ihn mein Lülü zu nennen.« Der Oberkommissar bohrte nachdenklich mit dem
Finger im Schussloch seiner Lederweste, unterließ es aber, Paulsen über dessen
Herkunft aufzuklären. »Der hat vermutet, dass es vielleicht ein Laie war, der
Laipple erschossen hat.« Nachdem der Sylter Hauptkommissar fragend eine
Augenbraue in die Höhe gezogen hatte, fuhr Große Jäger fort: »Ein Profi nähert
sich seinem Opfer so, dass der erste Schuss tödlich ist. Dann folgt zur
Sicherheit der Fangschuss. Es klingt ekelhaft – ich weiß, aber genauso ist die
Vorgehensweise bei einer Exekution. Nach dem Kugelhagel eines
Erschießungskommandos vollendet der ausführende Offizier die Tat. In diesem
Fall hat der Mörder beim ersten Mal vermutlich nur unzureichend getroffen und
mit dem zweiten Schuss das Opfer final erwischt.«
Paulsen nickte nachdenklich. »Diese Überlegungen
könnten der Wahrheit nahekommen. Doch im Augenblick sind das nur Vermutungen.«
Er reckte sich und ließ dabei ein »Uuahh« hören. Dann klopfte er mit der Spitze
seines Zeigefingers auf einen Aktendeckel, der vor ihm lag. »Wir haben Frau
Merckel verschiedene Dialekte vorgespielt. Sie konnte sich für keinen
entscheiden. Zumindest hat der Anrufer, der Dr. Laipple in die Dünen gelockt
hat, keinen der ausgeprägten Dialekte gesprochen, deren typische Vertreter das
Bayerische oder das Sächsische sind.« Paulsen wurde durch sein Telefon
abgelenkt. Er hörte eine Weile zu und sagte: »Ich komme.« Dann stand er auf.
»Tut mir leid. Aber wir haben eine besondere Situation.«
»Was denn?« fragte Große Jäger neugierig.
»In Tinnum bedroht jemand unsere Einsatzkräfte.«
»Ich komme mit«, entschied Große Jäger und folgte
Paulsen.
Sie fuhren nur wenige Minuten bis in die ruhige
Seitenstraße mit den für Sylt so typischen Reetdachhäusern. Ein blau-silberner
Streifenwagen parkte vor dem Grundstück. Hinter dem Fahrzeug hatten sich zwei
uniformierte Beamte und ein Zivilist verschanzt.
Der Oberkommissar mit den zwei silbernen Sternen auf
der Schulter wies auf den Zivilisten. »Das ist Herr Finkeisen, der
Gerichtsvollzieher. Er wollte den Räumungsbeschluss überbringen. Da hat der
Inhaber der Pension ein Gewehr ergriffen und gedroht, auf jeden zu schießen,
der sich seinem Haus nähern würde.«
»Wie heißt der Mann?«, fragte Große Jäger.
»Gödeke Matthiessen, vierundsechzig«, erklärte der
Gerichtsvollzieher.
»Uns ist er nicht als gewalttätig bekannt«, ergänzte
der Streifenführer.
»Lassen Sie mich mal«, sagte Große Jäger und richtete
sich auf, sodass er über das Einsatzfahrzeug zum Haus sehen konnte.
Das Backsteingebäude sah wie ein größeres
Einfamilienhaus aus. Im Vorgarten stand ein beleuchtetes Schild. »Pension
Matthiessen«, las der Oberkommissar laut vor. Dann formte er die Hände zu einem
Trichter und rief: »Herr Matthiessen. Lassen Sie uns miteinander schnacken.
Alles andere ist Schiet.«
Im Haus rührte sich nichts.
»Wir können die Lage nur schwer einschätzen«, sagte
der Uniformierte.
»Hat sich der Mann mit seiner Waffe gezeigt? Oder
geschossen?«
»Nein.«
»Wo wollen Sie hin?«, fragte Paulsen, als Große Jäger langsam auf das Haus zuging. Alles blieb ruhig. Vom Hausbesitzer war nichts zu
sehen. Der Oberkommissar erreichte die nur angelehnte Haustür. Vorsichtig schob
er sie mit der Fußspitze auf. Für einen Moment überlegte er, ob er seine Waffe
ziehen sollte, entschied sich dann aber dagegen.
Es roch ein wenig muffig. Vom Flur führte eine Treppe
ins Obergeschoss. Vermutlich befanden sich dort die Räume der Gäste. Eine
dunkle Tür mit der Aufschrift
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