Der Tote vom Maschsee
gesagt. »Niemand wird mit solchen
Dingen alleine fertig. Auch nicht im Laufe der Jahre. Man kann Erinnerungen
verdrängen, aber das heiÃt nicht, dass sie einem nicht mehr schaden können.
Dass Elise von selbst zu Pro victim gegangen ist,
sogar zu meinen Vorträgen, das ist ein Zeichen, dass sie auf der Suche nach
Hilfe ist.«
»Sie wollten also etwas gegen Ihr schlechtes Gewissen tun«,
entschlüpft es dem Kommissar, den ihre Ãberheblichkeit reizt. Allerdings bereut
er seine Worte sofort und denkt: Ich hätte besser Oda auf die Psychiaterin
loslassen sollen. Aber die versucht in ihrem Büro die hartnäckig schweigende
Elise Wenzel zu knacken, während Fernando und Jule auf den richterlichen
Durchsuchungsbeschluss für Frau Wenzels Wohnung warten.
Doch Dr. Fender ist nicht beleidigt. »Ja, genau«, bestätigt sie.
»Aber Elise hat mich einfach stehen lassen und ist gegangen. Daraufhin habe ich
Frau Dilling ausgehorcht und erfahren, dass Elise mit ihrer Mutter in der
Südstadt wohnt und im Zoo arbeitet. Dort habe ich sie gleich am nächsten Morgen
besucht. Nach einigem Hin und Her hat sie eingewilligt, mit mir zu reden. Und
zwar als Patientin, denn sie legte groÃen Wert auf meine Schweigepflicht. Vor
allem ihre Mutter sollte nichts davon erfahren. Das war heute Vormittag. Und
ich hatte sie fast so weit, mir alles zu erzählen, aber dann sind ja Ihre
Beamten in mein Sprechzimmer geplatzt und haben die Waffen auf uns gerichtet.
Das muss man sich mal vorstellen, das war wie in einem schlechten Film! Ich
brauche Ihnen ja nicht zu sagen, dass sie damit alles verdorben haben.«
»Immerhin geht es um zwei Morde, und wir wähnten Sie in Gefahr«,
verteidigt Völxen aufs Neue sein Personal.
»Sie denken doch nicht, dass Elise eine Mörderin ist? Warum sollte
sie Irene Dilling erschieÃen und mir die Zunge schicken? Das glauben Sie doch
nicht im Ernst?«
Völxen geht nicht darauf ein, sondern antwortet: »Ich glaube gar
nichts. Für mich zählen Fakten. Also: Was hatte sie Ihnen bis zu diesem
Zeitpunkt erzählt?«
Dr. Fender bläht die Flügel ihrer zarten Nase: »Nichts! Ich habe
geredet. Ãber die Funktion des menschlichen Gehirns, über Traumatherapien, über
unsere Schulzeit. Ich habe mich bei ihr entschuldigt für mein damaliges
Benehmen. Das hat sie akzeptiert. Dann habe ich ihr vor Augen gehalten, dass
Strauch nur durch ihre Aussage im Gefängnis bleiben wird, dass sie nun die
Fäden in der Hand hält. Sie hat dazu nur genickt und gefragt, was wäre, wenn er
trotzdem herauskommen sollte. Und dann flog plötzlich die Tür gegen die Wand,
und dieser â¦Â«
»Wir kennen den Rest«, wiegelt Völxen ab und denkt in einem Anflug
von Sarkasmus: Wie rasch doch aus Liebenden Feinde werden. »Vielen Dank, Frau
Dr. Fender, Sie haben uns sehr geholfen. Sie dürfen dann gehen«, sagt er
abschlieÃend rasch, ehe sich Frau Doktor erneut in Rage reden kann.
Elise Wenzel krallt sich am Beifahrersitz fest. »Wo sind
wir hier, was wollen wir hier?« Ihre Stimme klingt heiser, es ist der erste
Satz, den sie seit Stunden sagt.
Sie befinden sich in einer älteren, ruhigen Wohnsiedlung, der Wagen
hält vor einem einstöckigen Haus mit Flachdach. Das Haus ist nur teilweise zu
sehen, ins Kraut geschossene Holundersträucher schirmen es gegen Blicke von der
StraÃe ab. Vor den Fenstern sind die Rollläden heruntergelassen.
Oda Kristensen stellt den Motor ab. »Die jetzigen Besitzer sind in
Urlaub. Sonst hätten wir hineingehen können.«
Elise Wenzel schaut die Kommissarin an, als hätte sie ihr
vorgeschlagen, eine Schlangengrube zu betreten. Dann stemmt sie sich gegen die
Kopfstütze und schlieÃt die Augen. Aber es nützt nichts. Plötzlich ist alles
wieder da, ganz nah, ganz plastisch. Sie beginnt zu zittern, ihr Atem geht
flach.
Am Anfang ist das leise Brutzeln der
Neonleuchte. Mit dem Aufflackern des Lichts beginnt der Schrecken. Die
plötzliche Helligkeit sticht in den Augen, sie hört das Zurückgleiten des
eisernen Riegels, die Klinke wird gedrückt, die Türangeln knarren. Es folgen
die Schritte auf der Treppe und ein Schatten, der im grellen Licht langsam
Konturen annimmt. Sie ist ein Bündel aus Angst, und gleichzeitig froh, nicht
mehr im Dunkeln allein zu sein. Sie weià nicht, was schlimmer ist, die Panik,
die sie bei seinem Erscheinen
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