Der Tote vom Maschsee
umlege, dann peng und weg. Dann schnibbel
ich doch nicht noch an ihm rum und lege Teile ans andere Ende der Stadt.«
»Das kann ein raffiniertes Ablenkungsmanöver sein. Du hast gehört,
wie sie seine Vorträge als Auftritte bezeichnet hat«, erinnert ihn Jule. »Als
wäre er ein Zirkusclown gewesen. Möglicherweise empfand sie ihn als eine
Schande für ihre Zunft. Oder sie hatten mal was miteinander, und sie hat
vielleicht die Stelle nur bekommen, weil sie mit ihm geschlafen hat, und fühlte
sich dadurch permanent gedemütigt.«
Aus irgendeinem Grund findet Fernando diese Vorstellung sehr
unerquicklich. »Meinst du, eine Frau wie sie hat das nötig?«
»Eine Stelle in einer renommierten Psychiatrischen Praxis mit Chance
auf Ãbernahme â dafür tut man so Einiges.« Ob wohl mein Vater mit seinen
Doktorandinnen schläft, durchzuckt es Jule.
»Zuerst müssen wir mal rausfinden, ob der Vertrag tatsächlich von
beiden unterzeichnet worden ist. So was läuft doch über einen Notar, denke ich
mal«, sagt Fernando und wechselt sogleich das Thema: »Sag mal, du gescheiterte
Medizinerin, was ist eine Steatosis hepatis ?«
»Eine Fettleber.«
Beide grinsen.
»Wie hat die Fender im Institut reagiert, als sie ihn gesehen hat?«
Es wurmt Jule ein bisschen, dass sie nicht bei Offermanns Obduktion dabei
gewesen ist.
»Sachlich. Wenn da Liebe oder Hass im Spiel waren, dann hat sie es
gut verborgen.
»Warten wirâs ab«, meint Jule pragmatisch. »Wenn unsere Schöne im
Bett des alten Wüstlings war, dann gibt es bestimmt Sekretspuren, die dies
beweisen.«
Fernando lässt sich in den Stuhl sinken und seufzt: »Frauen können
ja so romantisch sein.«
Jule verkneift sich eine Antwort. Was hat, bitteschön, Romantik bei
einer Mordermittlung zu suchen?
Nach einem Gespräch mit dem Vizepräsidenten verlässt
Völxen gegen sieben Uhr die Polizeidirektion. Sein Arbeitstag ist jedoch noch
nicht zu Ende, zu dem Konzert von Sabines Klarinettenschülern in der Aula der
Waldorfschule in Sorsum wird er es daher wohl nicht schaffen. Was er insgeheim
nicht allzu sehr bedauert. Er mag die jammernden Töne dieses Instruments nicht,
zudem hat Völxen nie den Zugang zu klassischer Musik gefunden, und Klezmer geht
ihm erst recht auf die Nerven. Er hört überhaupt wenig Musik, eigentlich fast
nur im Autoradio, die ewig gleichen Classic Rocks .
Von Sabine sind keine Vorwürfe zu erwarten. Sie beklagt sich nie,
wenn er Ãberstunden machen muss oder zur Unzeit zu einem Tatort gerufen wird.
Sie schätzt an ihm, dass er seinen Beruf ernst nimmt, so wie sie den ihren.
Das kleine Einfamilienhäuschen der Dillings am Rand des Misburger
Waldes hat sich nicht verändert, nur an der Höhe der Tanne im Vorgarten lässt
sich erkennen, dass seit Völxens letztem Besuch etliche Jahre vergangen sind.
Der Garten ist gepflegt, eine Rose neben der Haustür zeigt erste Knospen. Vögel
lärmen.
Völxen geht durch das Gartentor auf die Haustür zu.
Frau Dilling öffnet die Tür, kaum dass der Kommissar geläutet hat.
Als habe sie ihn erwartet. »Guten Abend, Herr Völxen.«
Er hat nicht damit gerechnet, dass sie ihn sofort erkennt. »Guten
Abend, Frau Dilling.«
Ohne sich nach dem Grund seines Besuchs zu erkundigen, bittet sie
ihn herein. Sie trägt Jeans und ein marineblaues Sweatshirt. Ihr kurzes Haar,
früher dunkelbraun, ist grau, offenbar färbt sie es nicht. Seltsamerweise
machte sie das nicht älter. Ihr Gesicht ist ungeschminkt, die Haut wirkt, als
würde sie viel Zeit an der Luft verbringen. Sie führt ihren Gast in eine helle
Küche mit weiÃen Möbeln. Alles sieht neu aus, jedenfalls anders als damals.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragt sie.
»Ein Glas Wasser wäre nett.« Ihm ist auf einmal unangenehm warm.
Sie stellt ein Glas Mineralwasser auf den blanken Küchentisch und
setzt sich ihm gegenüber. Ãber ihrem Kopf, auf einem Gewürzbord, steht ein Foto
in einem Silberrahmen. Das Mädchen darauf hat ein Buch auf den Knien und schaut
auf, als hätte man es an einer besonders spannenden Stelle ins Hier und Jetzt
zurückgeholt. An dem leichten Rotstich, der sich trotz der Glasscheibe über dem
Foto gebildet hat, erkennt man, dass die Aufnahme schon älter ist.
»Wie geht es Ihrer Tochter, Herr Völxen?«
Es ist ihm unangenehm,
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