Der Tote vom Maschsee
diese Dame fortgeschrittenen Alters in den
pinkfarbenen Leggins. Ãberhaupt â wären die Stöcke nicht, man könnte meinen,
dies sei ein Treffen der Weight-Watchers. Er kommt sich albern vor in diesen
Klamotten, die Sabine für ihn bei ihrem Lieblingskaffeeröster erstanden hat.
Zum Glück sieht ihn hier niemand, der ihn kennt. Er hat sich extra bei der
Volkshochschule der nahe gelegenen Kleinstadt Gehrden zum Anfängerkurs
angemeldet, obwohl der heimische Sportverein seit Kurzem ebenfalls eine
Nordic-Walking-Abteilung besitzt. Aber das fehlte noch, dass er sich vor der
Nachbarschaft zum Gespött macht.
»Und noch einmal tief einatmen.«
Völxen atmet.
»Und ausatmen. Wir nehmen jetzt die Stöcke zur Hand. Von unten durch
die Schlaufen, Regine! Die Lauftechnik des Nordic Walking gleicht der Bewegung
beim Skilanglauf. Nordic Walking nutzt den physiologischen, diagonalen
Bewegungsablauf beim Walken durch den bewussten Stockeinsatz â¦Â«
Nun fang endlich an, damit man schnell wieder nach Hause und ein
Bier trinken kann!
»Der Stock soll mit dem Unterarm einen rechten Winkel bilden. Der
rechte Stock hat dann Bodenberührung, wenn die linke Ferse aufsetzt und
umgekehrt.«
Wie war das? Ferse, Stock, Bodenberührung? Na, egal. Es kann ja
nicht so schwierig sein, zu gehen und dabei die Stöcke zu schwingen. Einfach
immer an die Fettverbrennung denken.
Endlich, es geht los. Mit Geklacker setzt sich der Trupp in
Bewegung. AuÃer Völxen sind es sieben Frauen und ein älterer Mann.
Was für ein Schneckentempo, da kommt man ja völlig aus dem Tritt. Ich
hätte mich lieber bei Power-Walking anmelden sollen statt bei diesem
Seniorenverein. Völxens Hände krampfen sich um die Stöcke. Irgendwie sind die
Dinger viel zu lang, obwohl der Verkäufer bei Sport Scheck anhand einer
Rechenformel seine individuelle Stocklänge ermittelt hat. Hat sich
wahrscheinlich verrechnet, der Trottel.
»Die Schultern ganz locker lassen, Bodo! Die Arme schwingen wie von
selbst.«
Völxen bereut es, dieser Helga seinen Vornamen genannt zu haben.
Ãberhaupt, diese zwanghafte Duzerei. Das mag auf dem Dorf ja noch angehen, aber
hier findet er es höchst unangebracht. Um den scharfen Augen von Helga zu
entgehen, lässt sich Völxen ans Ende des Trupps zurückfallen. Dort quält sich
der andere Mann mit hochrotem Gesicht durchs Gelände. Ab und zu piepst der
Pulsmesser an seinem Handgelenk, dann grummelt er einen saftigen Fluch, dem
sich Völxen im Geist anschlieÃt. Warum hat er nur auf Sabine gehört? Du musst was zum Ausgleich tun. Er würde jetzt lieber am
Zaun bei seinen Schafen stehen und den Sonnenuntergang beobachten. Wie es wohl
Amadeus geht? Lieber nicht daran denken.
Vor ihm schaukelt ein breites Gesäà in Pink träge den Hügel hinauf.
Völxen schnauft. Das Tempo hat angezogen, die Stöcke sind eher hinderlich.
Schweià rinnt ihm über die Stirn in die Augen. Er hätte doch das Stirnband
anziehen sollen, das er mit den Worten »Ich bin doch kein Indianer« abgelehnt
hat. Auch die Anschaffung einer Pulsuhr hat er verweigert. »Das ist albern. Ich
werde wohl noch ohne High-Tech-Equipment spazieren
gehen können!«
Er fängt den gequälten Blick seines Nebenmannes auf, sie tauschen
ein Lächeln in stummer, einvernehmlicher Resignation. Bestimmt ist der auch
nicht freiwillig hier, vermutet Völxen. Hätte ich bloà den Kurs nicht gleich
bezahlt, jetzt muss ich die Sache auch durchziehen.
Die Anhöhe ist erklommen, nun geht es am Wald entlang. Völxen hält
inne, sein Blick schweift über das Land, das von der Abendsonne in ein sanftes
Licht getaucht wird: ein von Alleen durchzogenes Mosaik in grün, gelb und
braun. Korn, Raps und die frisch eingesäten Rüben. Vereinzelt Windräder,
Dörfer, Kirchtürme. Eine schlichte, unspektakuläre Landschaft, harmonisch und
freundlich. Seine Stimmung hellt sich auf.
Auch seinen Nebenmann scheint dieser Anblick zu berühren. »Das wird
ein groÃer Sommer werden, seit Wochen keine Schatten auf der Sonnenuhr â¦Â«
Hilfe, ein Poet. Bestimmt ein pensionierter Lehrer, der jetzt
Gedichte schreibt. Oder noch schlimmer: Kriminalromane.
»Die Herren da hinten, geht es zu schnell?«
»Nein, nein!«, keuchen Völxen und sein Leidensgenosse. Mücken
umschwirren gierig ihre roten Köpfe.
Die Gruppe reiht sich auf zum
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