Der Tote vom Maschsee
geräumt.
Thomas stellt zwei Gläser Wein auf den Couchtisch. Er hat ihren
Blick auf die Pflanzen bemerkt und meint: »Wenn du mal was brauchst, sag
Bescheid.«
»Das dauert ja wohl noch ein Weilchen.«
»Ach, das. Eine Spinnerei. Ich meine, wenn du was Ordentliches
rauchen willst oder so.«
Jule will dieses Thema lieber nicht vertiefen. »Bist du Student?«,
fragt sie.
Thomas erzählt, dass er Chemie studiert und gerade ein Praktikum
macht und dass Fred im vierzehnten Semester Philosophie ist. »Im Moment gammelt
er gerade in Südfrankreich herum. Studierst du auch?«
»Nein, ich ⦠ich arbeite bei einer Landesbehörde.« Fast niemand
reagiert normal, wenn man sagt, dass man bei der Polizei ist. Entweder werden
die Leute misstrauisch und verschlossen, oder sie kommen mit tausend dämlichen
Fragen und Anliegen.
»Zum Wohl, Nachbarin Jule!«
»Zum Wohl.«
Der Wein ist leicht, ein bisschen pfeffrig, aber sehr gut.
»Und? Kannst du gut schlafen, oder tobt Marlenes Geist durch die
Gemäuer?«
»Wer ist Marlene?«
»Ach, ScheiÃe. Du weiÃt gar nicht â¦Â« Thomas verzieht das Gesicht,
als hätte er Zahnschmerzen.
»Was weià ich nicht?«
»Oh, Mist!«
»Was? Was ist denn?«
»Deine Vormieterin ist ausgezogen, weil Marlene, die
Vor-Vormieterin, in der Wohnung spuken soll.«
Ein Spuk in einem Lister Mietshaus? »Du willst mich verarschen,
oder?«
»Nein. Die hat sich umgebracht.«
»Wer?«
»Marlene.«
Jule genehmigt sich einen groÃen Schluck Wein. »In meiner Wohnung?«
Thomas nickt. »Vor einem Jahr war das. Im Schlafzimmer, Tabletten.
Sie war schwer depressiv.«
»Wie alt war sie?«
»VierunddreiÃig.«
»Kanntest du sie?«
»Nicht gut. Sie war ab und zu hier, aber zuletzt hatte sie sich ganz
zurückgezogen. Hoffentlich habe ich jetzt keinen Mist gebaut. Ich dachte, du
wüsstest Bescheid.«
»Nein, mit Spukgeschichten sind Wohnungsmakler hierzulande sehr
zurückhaltend«, sagt Jule mit einem bemühten Lächeln. »Aber das macht nichts.
Ich bin nicht abergläubisch. Und es spukt auch nicht.«
»Gut.« Thomas stürzt den Rest seines Weins hinunter. »Ich such dann
mal die Bohrmaschine.
Jule hört ihn im Nebenzimmer poltern. Nachdenklich dreht sie das
Weinglas zwischen ihren Fingern.
»Hier ist sie.« Er hält ein graues Monstrum in die Höhe. »WeiÃt du,
wie man damit umgeht?«
»Theoretisch ja.«
»Wenn du willst, häng ich dir das Ding schnell auf«, meint Thomas.
»Gut. Ich würde dich als Gegenleistung zu meiner ersten warmen
Mahlzeit in der neuen Wohnung einladen.«
»Das klingt doch genial«, sagt Thomas. »Ich muss nur noch rasch
telefonieren, ich komm dann gleich.«
Mit der Bohrmaschine im Anschlag geht Jule die Treppe hinab. Eine
Spukwohnung also. Sie kichert. Das hastig geleerte Glas Rotwein ist ihr schon
zu Kopf gestiegen. Zeit, etwas zu essen.
Sie fährt zurück, als sie im funzeligen Licht des Treppenhauses
einen monströsen Schatten vor ihrer Tür bemerkt. Plötzlich fällt ihr diese
Sache wieder ein, über die vor etlichen Wochen in der lokalen Presse
ausführlich berichtet wurde: Im Abstand von wenigen Tagen waren zwei allein
lebende Frauen in der List in ihren Wohnungen überfallen und vergewaltigt
worden. Danach gab es noch einen versuchten Ãberfall auf eine Frau in einem
Treppenhaus. Zwar ist seither kein derartiger Vorfall mehr bekannt geworden,
aber vom Täter hat die Polizei bis heute keine Spur. Was, wenn �
»Jule?«
»Fernando? Was tust du hier?«
Fernando streckt ihr eine Weinflasche entgegen. »Ach, weiÃt du,
dieses ewige Lamento von wegen, in meiner Wohnung sieht es aus wie Sau, das
kann ich mir nicht länger anhören. Da dachte ich, ich kann mich vielleicht
nützlich machen.«
Jule bemerkt die groÃe Sporttasche, die er neben ihrer Tür
abgestellt hat. Obenauf liegt ein Motorradhelm.
»Willst du bei mir einziehen?«
»Ich war gerade in der Muckibude.« Eine halbe Stunde hat er auf
einen Sandsack eingedroschen, der Alfonso Ortegas Gesichtszüge trug.
Jule sperrt die Tür auf. »Komm rein. Ich wollte gerade was kochen.
Es kommt gleich noch ein Typ, der mir die Küchenlampe aufhängen will.«
»Oh. Dann geh ich lieber mal wieder.« Fernando wendet sich zur
Treppe.
Ihre
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