Der Tote vom Maschsee
hat er auf Knien und unter
Tränen geschworen, dass es niemals wieder vorkommen würde. Doch Oda glaubte ihm
nicht und zog einen radikalen Schlussstrich. War es ihr verletzter Stolz, oder
die Angst, in Zukunft immer Angst vor ihm haben zu müssen?
Wann und wie soll sie es Veronika sagen? Sie kann das Geld ja
schlecht unterschlagen oder behaupten, sie habe es im Lotto gewonnen.
Vielleicht könnte Oda es als Erbe ihrer Mutter ausgeben, die vor einem Jahr an
einer verschleppten Grippe gestorben ist. Oma Kristensen hat für ihre Enkelin
gespart, das hört sich doch glaubhaft an. Nein, um Himmels willen! Nicht noch
mehr Lügen. Sie wird Veronika die Wahrheit über die Herkunft des Geldes sagen
müssen, früher oder später. Spätestens, wenn sie achtzehn wird. Also bleibt ja
noch ein bisschen Zeit.
»Hallo, Mama. Hier riecht es so lecker, was gibt es denn
zu â¦Â« Die Worte bleiben Fernando im Hals stecken. In der Küche steht ein Mann.
»Hallo, Nando«, flötet seine Mutter. »Das ist Señor Ortega.«
Señor Ortega ist nicht einfach nur so da, wie ein Nachbar oder ein
Handwerker. Nein, es ist eine geradezu intime Szene, in die Fernando da
geplatzt ist: Seine Mutter trägt gelbe Gummihandschuhe, Señor Ortega hat ein
weiÃes Tuch in der Hand und trocknet gerade einen Teller ab.
»Alfonso, das ist mein Fernando«, sagt Pedra Rodriguez, während sie
einen weiteren blanken Teller aus einem Schaumberg zieht.
» Buenas tardes , Fernando.«
Fernando bringt noch immer keinen Ton heraus. Noch nie hat ein
wildfremder Mann so in der Küche gestanden.
Der Kerl ist um die sechzig, sein Haar ist borstig und grau, ebenso
sein Schnauzbart. Er ist schmächtig bis auf einen kleinen Bauch. Jetzt grinst
er wie ein Rasenmäher und entblöÃt dabei eine Reihe gelber Zähne. Das Einzige,
was momentan für ihn spricht, ist, dass er kleiner ist als Fernando. Deutlich
kleiner.
»Endlich lerne ich Sie kennen, Fernando. Pedra hat schon so viel von
Ihnen erzählt.«
Im Spülbecken gurgelt das Wasser. Sein Händedruck fühlt sich an wie
ein Schraubstock. Behaarter Handrücken.
»Ah ja?«, ist alles, was Fernando dazu einfällt. Endlich? Wieso
endlich? Wie lange geht das schon? Wann hat sie viel von ihm erzählt? Was geht
hier vor?
»Aber Alfonso, ihr werdet doch nicht Sie zueinander sagen«, lacht
seine Mutter und hängt den Lappen, mit dem sie gerade die Spüle blank poliert
hat, über den Wasserhahn.
»Wir haben schon gegessen, Fernando. Du kannst dir in der Mikrowelle
eine Tortilla warm machen.«
Das wird ja immer besser. Die Reste werfen sie ihm hin, wie einem
Hund!
»Du kannst Alfonso ja noch ein wenig Gesellschaft leisten, ich muss
mich jetzt hübsch machen, für die Tanzstunde«, zwitschert Pedra und hängt ihre
Küchenschürze an den Türhaken.
Tanzstunde?! »Was für eine Tanzstunde denn?«
»Tango«, sagt Alfonso.
»Ja, Tango«, wiederholt seine Mutter mit roten Wangen. Ihr Lachen
perlt durch die Küche und läuft Fernando eiskalt den Rücken hinunter.
»Ich ⦠äh ⦠mir ist gerade was eingefallen. Ich muss noch mal weg«,
erklärt Fernando und flieht verstört aus der Küche.
Völxen atmet tief ein und aus. Von süÃlichem Duft
geschwängerte Luft legt sich auf seine Lungen wie ein schweres Parfum. Die
Rapsblüte ist dieses Jahr drei Wochen früher dran als sonst. So einen warmen
und trockenen April gab es angeblich noch nie. Täglich rufen die
Klimahysteriker in den Medien die Apokalypse aus.
»Nordic Walking ist der ideale Sport für Ãbergewichtige oder für
Menschen mit Rücken- und Gelenkproblemen. Es werden dabei vierzig Prozent mehr
Fett verbrannt als beim Walken oder Joggen.«
Ãbergewichtige? Was für eine drastische Wortwahl. Ganz so schlimm
ist es ja wohl noch nicht. Zumindest, was ihn betrifft. Die anderen â na ja.
»Es kräftigt die gesamte Muskulatur des Körpers. Neunzig Prozent
aller Muskeln werden beim Nordic Walking trainiert.«
Völxen fragt sich, welche zehn Prozent wohl in Frieden gelassen
werden.
»Nordic Walking kurbelt den Stoffwechsel und insbesondere die
Fettverbrennung an.«
Fettverbrennung, schon wieder so ein Unwort. Hat etwa diese
Ãbungsleiterin â »Ich bin die Helga« â dabei ihn angesehen? Dabei ist er hier
längst nicht der Dickste. Schon eher
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