Der Tote vom Maschsee
groÃen Hals hat, den pausbäckigen, den buschigen, den mit den Falten
und den Mont Pelée. Das ist ein Berg auf Martinique, pelé heiÃt kahl.«
»Und so was singen die Kinder in Frankreich beim Wandern?«, fragt
Jule kichernd.
»Nicht nur die Kinder. Diese Nation ist hoffnungslos verdorben. Es
gibt ganz viele Strophen von Le zizi . Ich befürchte,
Veronika kann sie alle.«
»Und woher kennt deine Tochter so zweideutige französische Lieder?«
»Von meinem Vater. Er wohnt seit zwanzig Jahren wieder in der Nähe
von Montélimar. Das liegt am Rande der Provence im Rhônetal zwischen Valence
und Orange.«
»Die Hauptstadt des Nougats«, ergänzt Jule.
»Genau«, bestätigt Oda beeindruckt. »Veronika und ich verbringen
jedes Jahr die Ferien dort.«
Sie passieren die Gebäude des NDR, kurz danach biegt Oda
links ab.
»Es hat mich gefreut, dass du gestern bei mir vorbeigekommen bist«,
sagt Jule.
»Es war lustig. Mein Gott, wie lange ist es her, dass ich zuletzt
gekifft habe? Bestimmt hundert Jahre.«
»Ich wusste nicht, dass Thomas das Zeug mitbringt, ehrlich. Ich
kenne ihn eigentlich gar nicht.«
»War doch okay, wirklich.«
»Hoffentlich findet Fernando das auch. Immerhin war er mal bei der
Drogenfahndung«, sagt Jule besorgt.
»Na und? Erstens ist er da nicht mehr, und zweitens hängt Fernando
doch keinen hin, nur weil er ein paar Pflanzen auf dem Balkon hat. Noch dazu,
wo er selbst mitgeraucht hat.«
Woher weià Oda von den Pflanzen auf Thomasâ Balkon? Jule kann nicht
verhindern, dass ihr die Schlussfolgerung einen kleinen Stich versetzt.
»Was wollte denn Fernando bei dir?«, forscht Oda indessen.
»Angeblich mir helfen. Wenn das stimmt, wäre das ja sehr nett von
ihm.«
»Wenn.«
Jule seufzt. »Er ist ja in Ordnung, sieht auch ganz gut aus, aber er
wirkt manchmal so unreif.«
»Wenn einer auch mit dreiunddreiÃig noch immer bei Mamma wohnt â¦Â«
»Nein!«
»Oh, doch.«
»Abgesehen davon habe ich vor, Dienst und Privatleben strikt
getrennt zu halten«, verkündet Jule.
Sie passieren ein paar neue Geschäfte.
»So ganz langsam wird auch die Südstadt Schickimicki«, bemerkt Oda
dazu. »Bald ist das hier voller Latte-Bars, genau wie die List.«
»Die Kundschaft ist schon da.« Jule weist auf einen Kiosk, vor dem
drei Herren einen Stehtisch festhalten, vor sich eine Batterie Bierdosen und
etliche Miniaturschnapsflaschen.
»Okay, bis zur vollständigen Lattemacchiatisierung des Viertels wird
es wohl noch etwas dauern«, räumt Oda ein und wirft einen Seitenblick in ein
Schaufenster. Was ist das denn für ein Laden, eine Kunstgalerie? Nein, ein
Bestattungsinstitut. Das im Fenster sind keine Skulpturen, sondern UrnengefäÃe.
Ob Veronika das mit dem Sarg tatsächlich ernst meint? Der Gedanke an einen Sarg
im Zimmer ihrer Tochter behagt Oda überhaupt nicht. Dafür sieht sie zu viel vom
Tod, um das originell zu finden. Woher will Veronika überhaupt das Geld dafür
nehmen? So ein Sarg ist doch bestimmt nicht unter tausend Euro zu haben, und
der Markt für Gebrauchte dürfte eng sein.
»Wie war es denn bei dieser Opferhilfe-Gruppe?«, wechselt Jule das
Thema.
»Rate mal, welche Psychiaterin dort einen Vortrag über
Traumatherapie bei Verbrechensopfern gehalten hat.«
»Die Fender? Die wird langsam immer verdächtiger«, findet Jule.
»Ich weià nicht«, meint Oda. »Diese Sache mit der Zunge ⦠Das ist
eine Botschaft, eine ziemlich eindeutige.«
»Und die lautet?«
»Was war der Mann von Beruf?«, fragt Oda zurück.
»Psychiater«, sagt Jule und fügt, als keine weitere Erklärung von
Oda folgt, hinzu: »Und Experte für Straftäter.«
»Sexualstraftäter«, ergänzt Oda. »Und wo lag die Zunge?«
»Auf dem Haarmann-Denkmal.«
»Quatsch!«
»Wieso?«
»Es ist kein Denkmal für Haarmann. Das wäre ja noch schöner. Die
Zunge lag auf dem Denkmal für die Opfer von
Haarmann«, korrigiert Oda.
»Stimmt«, gibt Jule zu.
»Denk doch mal nach«, fordert Oda. »Die Botschaft, die Symbolik!
Na?«
»Kümmert euch gefälligst mehr um die Opfer, anstatt um die Täter.«
»Fein. Du bist ein kluges Mädchen.«
»Und was heiÃt das nun für uns?«, will Jule wissen.
»Dass wir auf dem
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