Der Tote vom Maschsee
Kommissar. Eine schwarze Handtasche. Die presste
sie beim Laufen gegen ihren Oberkörper.«
»Gut, Herr Pfeuffer«, lobt Völxen. »Sie sind ein brauchbarer Zeuge.«
Der Pensionist strahlt.
Oda lehnt im Türrahmen und betrachtet das Zimmer vor ihr:
eine sonnengelbe Tapeten, weiÃe Gardinen, Stofftiere, Plastikpferde mit bunten
Haaren und Abenteuerromane im Kiefernholzregal. Das Bett ist frisch bezogen, es
riecht nach Weichspüler. Am Kopfende hängt ein Konfirmationskreuz aus Bronze.
Auf dem Nachttisch spreizen sich frische rosa Röschen in einer Vase. Nirgends
liegt ein Körnchen Staub.
Ein Regalfach beherbergt eine Sammlung von Versteinerungen, darunter
ein paar dunkelbraune, längliche Hüllen, die an Pfeilspitzen erinnern, oder an
einen Finger. Karoline scheint ein naturverbundenes Mädchen gewesen zu sein,
man findet in ihrem Zimmer nur Stofftiere, keine Puppen. Oda muss dabei an
Veronika denken, die sämtlichen Puppen nach wenigen Tagen die Haare geschnitten
hat, und das war noch die harmloseste Behandlung, die sie ihnen angedeihen lieÃ.
Die meisten hat sie »operiert«.
Schwere Schritte arbeiten sich hinter ihr die Treppe hinauf.
»Der Bächle gibt den Todeszeitpunkt zwischen acht und neun Uhr heute
früh an.« Völxen bleibt neben Oda stehen und vertieft sich ebenfalls in den
Anblick des verwaisten Zimmers. Mit seinem frisch gemachten Bett, den Blumen
und der tadellosen Ordnung gleicht es einem Hotelzimmer, das auf einen
verspäteten Gast wartet.
»Im Schreibtisch war eine Liste mit neunzehn Adressen und
Telefonnummern von Frauen. Astrid Jödden ist auch dabei. Ich nehme an, das ist
der harte Kern von Pro victim «, sagt Oda.
»Gut, die werden alle befragt.« Mit einem lautlosen Seufzer wendet
sich Völxen von Karolines Zimmer ab. Noch mehr als der Gedanke, dass Irene
Dilling nicht mehr am Leben ist, macht ihm die Tatsache zu schaffen, dass sie
in der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Tochter gestorben ist.
Von unten schallt Fernandos Stimme herauf: »Wir sind zurück. Kann
ich rein?«
»Nein«, brüllt Rolf Fiedler an Völxens Stelle. »Zwei von euch reichen
mir schon.«
Oda und Völxen steigen die Treppe hinunter. Ein ausgetretener,
gestreifter Kokosläufer dämpft ihre Schritte.
»Rolf, habt ihr hier ein Fahrrad gefunden?«
»In der Garage steht nur ein rostiges mit platten Reifen.«
»Dann muss ihr Rad noch irgendwo beim Tatort stehen. Wir sind dann
hier fertig. Servus Rolf!«
Rolf Fiedler murmelt zum Abschied einen Fluch.
Im Garten warten Jule und Fernando.
»Zwei Nachbarn haben Irene Dilling heute früh um acht die StraÃe
entlangradeln sehen. Ansonsten hat die Nachbarschaft nichts Besonders bemerkt«,
berichtet Fernando, und Jule ergänzt: »Die Frau von nebenan sagt, dass Frau
Dilling fast täglich am Kanal und bei den Gruben spazieren ging.«
»Warum dort? Warum nicht im Misburger Wald, der liegt doch quasi vor
der Haustür?«, fragt Oda, und Jule sagt: »Die Nachbarin meint, Frau Dilling
habe mal zu ihr gesagt, sie sei dort ihrer Karoline am nächsten.«
»Und sonst? Besucher? Leute, die in letzter Zeit das Haus beobachtet
haben? Die mysteriöse Frau mit dem Kopftuch?«, erkundigt sich Völxen.
»Nein, nichts«, antwortet Fernando.
»Herrgott, das gibt es doch nicht! In so einer WohnstraÃe fällt doch
jeder Fremde auf.«
»Nicht unbedingt«, meint Oda, »das ist hier nicht wie bei dir auf
dem Dorf.«
Odas Handy klingelt. Sie geht ran, lauscht und verkündet dann:
»Nachricht von der PI-Stöcken. Es liegt diesmal keine Zunge auf dem
Haarmann-Stein.«
»Das Denkmal sollte die nächsten Tage trotzdem observiert werden«,
ordnet Völxen an.
»Die letzte Telefonnummer, die Irene Dilling gewählt hat, ist die
von Liliane Fenders Privatanschluss. Vielleicht sollten wir da mal hinfahren«,
schlägt Oda vor.
»Mach ich«, sagt Fernando.
»Nein, nicht du«, widerspricht Völxen. »Oda und ich besuchen die
Dame. So langsam bin ich nämlich verdammt neugierig auf diese Dr. Fender. Du
und Frau Wedekin, ihr hört euch da unten am Hafen um, vielleicht hat jemand was
bemerkt. Findet raus, welche Strecke sie gefahren ist und wer sie zuletzt
gesehen hat. Fragt nach der Frau mit dem Kopftuch.«
Fernando schielt auf seine Uhr. Verflucht, das wird heute nichts
werden mit dem Stadion.
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