Der Tote vom Maschsee
lässt. »Eine Sache war da noch. Als wir über seine ersten Straftaten
sprachen, wollte er das Geschehene verharmlosen. So nach dem Motto: Im Grunde wollen die doch alle nur das eine, und hinterher ist
Gejammer. In diesem Zusammenhang hat er von einem Brief gesprochen, den
ihm eine Frau einmal geschrieben haben soll und in dem sie ihm verziehen habe.
Als ich nachfragte, welche Frau ihm geschrieben und was es zu verzeihen gegeben
habe, da hat er gleich wieder abgewiegelt und wollte nichts mehr dazu sagen.«
»Gibt es diesen Brief noch?«
»Das weià ich nicht.« Markstein leert sein Glas. »Wollen Sie meine
Eintrittskarte?«, fragt er und langt in die Brusttasche seines obligaten
Mantels.
Völxen hätte durchaus Lust, sich das Spiel anzusehen. Aber eine
Karte von Markstein annehmen? Hätte das nicht, wie Bächle sagen würde, ein
Gschmäckle? »Tut mir leid, das kann ich nicht annehmen.«
»Nur keine falsche Bescheidenheit, Herr Hauptkommissar. Ich habe sie
auch nur geschenkt gekriegt. Ist für die Conti-VIP-Lounge. Bier umsonst und
lecker Fresschen.«
Markstein legt das Ticket neben Völxens Bierglas.
Wenn man es recht bedenkt, brauchen die Roten jede Unterstützung,
besonders nach der blamablen Vorstellung vom vergangenen Wochenende gegen
Stuttgart. Und gerade mit den unteren Tabellenrängen ist ja oft gar nicht zu
spaÃen, die kämpfen mit allen Mitteln gegen den Abstieg. Wäre es nicht geradezu
unpatriotisch, in so einer Situation die Karte verfallen zu lassen? »Na, gut«,
nickt Völxen. »Und was machen Sie?«
Markstein grinst. »Ich düse mit dem Fotografen nach Misburg.«
»Da ist jetzt nicht mehr viel los. Sie finden höchstens noch ein
paar einsame Spurensicherer. Die Leiche liegt schon gekühlt in der
Rechtsmedizin.«
»Wir kriegen das schon hin«, meint Markstein. »Notfalls legen wir
unsere Volontärin in die Grube.«
»Ah, die Frau Kommissarin. Es gefällt Ihnen wohl bei uns?
Wieder ein Bitter Lemon?«
»Ganz genau«, lächelt Jule. »Herr ⦠äh, Pascal. Wir haben uns doch
gestern über die Frau unterhalten, die allein in der Bar war, letzten Montag.
Ich habe jetzt ein Foto dabei, von der Person. Allerdings ist sie darauf schon
tot. Erschrecken Sie bitte nicht.«
»Ich bin ein harter Junge«, behauptet Pascal und klimpert mit den
Augenlidern.
Fiedler hat sein Versprechen gehalten und ihr Bilder von Irene
Dilling geschickt. Jule hat eine der Nahaufnahmen vom Gesicht in Schwarz-weiÃ
ausgedruckt, was dem Porträt jedoch nichts von seiner grausigen Ausstrahlung
genommen hat. Das Foto hat nichts gemein mit der Frau auf dem Videoband. Die
Augen sind kleine, böse Schlitze, der offen stehende, leere Mund ist eine
schwarze Höhle, die sofort verrät, dass da etwas nicht stimmt. Eine
Totenfratze, denkt Jule in einem Anflug von Theatralik.
Sie schiebt Pascal das Bild über den Tresen.
»Das ist sie nicht.«
»Sind Sie da ganz sicher?«
»Es ist mein Job, Leute zu erkennen«, sagt Pascal. »Das war nicht
die Frau. Die, die hier war, war ein ganz anderer Typ. Schärfere Züge, ein
bisschen verhärmt.«
»Danke«, sagt Jule. Sie leert nachdenklich und in kleinen Schlucken
ihr Glas. Schade. Sie hätte Völxen so gerne überrascht.
»He, Kommissar, hast du schon dein Schaf gesehen«, kräht
Jens Köpcke, kaum dass Völxen aus seinem Wagen gestiegen ist.
Völxen schüttelt den Kopf.
»Na, dann â¦Â«, gluckst der Nachbar und verschwindet in dem Schuppen,
in dem er seine Mordinstrumente aufbewahrt.
Nichts Gutes ahnend stapft Völxen ums Haus herum und nimmt Kurs auf
die Schafweide. Dort angekommen schnappt er nach Luft, und an seiner Schläfe
treten zwei Adern hervor.
»WANDA!«
Unbeeindruckt vom väterlichen Gebrüll kommt Wanda in ihren Flipflops
gemächlich herangeschlurft.
Völxen deutet stumm und anklagend auf das Schaf Angelina. Das Tier
ist ordentlich geschoren, bis auf einen Streifen entlang der Wirbelsäule. Damit
nicht genug hat irgendein Blödian diese Irokesenbürste pink eingefärbt.
Völxen mustert seine kichernde Tochter mit aller Strenge und fragt,
wobei er jedes Wort extra betont: »Wer â war â das?«
»Ich nicht«, wehrt Wanda ab.
»Etwa dieser Sören ?« Als er den Namen
ausspricht, spitzt Völxen die Lippen, als müsste er eine
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