Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Schluchzen zu hören. Und danach das Freizeichen.
Batzko hob die Augenbrauen: »Sollen wir ihn zur Fahndung ausschreiben? Er hat als Letzter mit Baumann telefoniert, und er hat ein Motiv.«
»Das würde ich noch nicht tun«, antwortete Gerald. »Scharnagl kommt zurück, da bin ich mir sicher. Eine Fahndung würde seinen Ruf endgültig ruinieren. Außerdem ist mir noch nicht ganz klar, wie er Baumann am Flaucher getroffen haben soll. Und es bleibt die Frage, warum er diese Klamotten getragen hat.«
»Er kann Baumann an der Wohnung in Giesing aufgelauert haben und ihm dann gefolgt sein.«
»Welchen Grund hätte Baumann gehabt, gerade ihm von der Wohnung zu erzählen?«
»Vielleicht ist er ihm ja gefolgt«, Batzko verschränkte die Finger ineinander und streckte die Arme in Höhe der Schultern aus.
»Du fixierst dich auf Scharnagl«, sagte Gerald, »weil du dich nicht mit unserem Krisen-Quartett beschäftigen willst.«
»Dreh den Satz um, und du bist bei deiner Logik«, giftete Batzko zurück.
Gerald versuchte, sich von Batzkos Tonfall nicht reizen zu lassen. »Mir ist einfach noch nicht klar, was sich dort in dieser Wohnung letztlich abgespielt hat … Was sie uns erzählen, ist schön und gut, aber ich bin überzeugt, dass dahinter noch mehr steckt.«
Batzko griff eine Akte vom Stapel und wandte sich einem anderen Fall zu. Gerald kannte die Angewohnheit seines Kollegen zu bocken, wenn die Ermittlungen in eine andere Richtung liefen, als er es erwartet hatte.
Auch Gerald beschloss, sich nun um andere Fälle zu kümmern. In der Sache Baumann würde er heute sowieso nicht mehr weiterkommen. In einem harten Kampf gegen die Müdigkeit holte er ständig neuen Kaffee aus der Flurküche.
Gegen fünfzehn Uhr sagte Batzko unvermittelt: »Hau ab!«
»Was?«
»Ja. Geh einfach. Putz deine Wohnung. Kauf dem Kleinen etwas. Geh einkaufen. Leg dich noch eine halbe Stunde aufs Ohr, wenn die Zeit reicht. Erlöse mich von deiner Anwesenheit.«
»Was den Fall Baumann angeht …«
»Ich organisiere das, du Frauenopfer. Wir werden uns mit Mostert und den Thalers in der Wohnung treffen und sie zum Plaudern bringen. Ich gehe davon aus, dass du morgen früh pünktlich wieder erscheinst. Bis dahin habe ich das organisiert. Und jetzt verzieh dich endlich.«
14
Als Gerald mit zwei vollen Einkaufstüten nur noch wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt war, blieb er abrupt stehen. Er hatte vergessen, etwas für Severin zu kaufen! Wütend drehte er auf dem Absatz um und ging in den Supermarkt zurück. Was hatte Sevi eigentlich in letzter Zeit gegessen? Glücklicherweise waren auf den Gläsern die Altersangaben angebracht, aber welche Sorten mochte er am liebsten? Ernährte ihn Nele vielleicht sogar vegetarisch?
Er konnte die Taschen an der Kasse einer freundlichen Verkäuferin stehen lassen und nahm erneut einen Einkaufskorb. Langsam fand er seine Ruhe wieder. Letztlich war es nicht verwunderlich, dass er die Babynahrung vergessen hatte. An den wenigen Wochenenden bei Neles Eltern, an denen er seinen Sohn hatte besuchen dürfen, war die Stimmung äußerst gereizt gewesen: Neles Vater, ein pensionierter Bahnbeamter, war immer schlechter Laune, weil er wegen Severin seine heißgeliebte Pfeife nur noch auf dem Balkon der Dreizimmerwohnung qualmen durfte, Neles Mutter trat ihm mit einer Leidensmiene entgegen, als hätte er Unglück und Fluch über mindestens fünf Generationen ihrer Familie gebracht, und Nele selbst stand mit dem Kleinen bereits angezogen an der Tür, wenn er klingelte. Es war nicht mehr möglich, als in der Diele ein »Hallo« zu rufen und zu registrieren, dass ihm niemand antwortete. Gerald war also von Severins Alltag komplett abgeschnitten. Wie konnte er wissen, was Severin aß, wenn sie nur auf Parkbänken bei Kinderspielplätzen saßen oder Gerald seinen Sohn auf den Schultern trug? Die Tatsache, dass er in einer Pension übernachten musste und nicht einmal in der Wohnung seiner Schwiegereltern zu einer gemeinsamen Mahlzeit eingeladen wurde, erinnerte ihn an die Behandlung eines Strafgefangenen auf Freigang. Aber er schluckte diese Demütigungen, um die Verbindung zu seinem Sohn nicht komplett abreißen zu lassen.
Wie lange würden sie bei ihm in München bleiben? Und warum eigentlich dieser Überraschungsbesuch? Gerald las die Beschreibungen auf den Gläschen, entschied sich für eine ganze Palette an Geschmacksrichtungen, die auch zwei vegetarische Gerichte enthielt, und kaufte noch drei Sorten
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