Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Einzeltäter handelt.«
»Da Baumanns Kleidung und seine Papiere in der Giesinger Wohnung lagen, müssten sie ihn dort abgepasst haben. Wenn wir die Theorie jetzt einmal weiterspinnen, müssten sie ihn vermutlich schon seit einiger Zeit observiert haben, um den Moment abzupassen, in dem er allein sein würde. Dann haben sie ihn wahrscheinlich gezwungen, die Kleidung zu wechseln, und danach …«
»… muss etwas schiefgegangen sein. So verstehe ich jedenfalls die Formulierung ›wer sich wehrt, lebt gar nicht mehr‹ in dem Bekennerschreiben. Er wird sich verteidigt haben, vielleicht hat er geschrien, und die Entführer hatten Angst, entdeckt zu werden. Und der Schlag, der ihn dann ruhigstellen sollte, hat ihn getötet.«
»Stimmt. Wenn es ein politisch motivierter Mord wäre, hätte das definitiv anders ausgesehen. Es wirkt so, als wäre die Aktion ab einem bestimmten Punkt gründlich aus dem Ruder gelaufen.«
»Und warum überhaupt Arndt Baumann? Er steht ja schließlich nicht in der Öffentlichkeit. In manchen Situationen war er vielleicht sehr pedantisch und gesetzestreu, aber rechtfertigt das allein einen Mord?« Batzko drehte die Handflächen nach außen. »Aber das ist ja auch nicht unsere Spielwiese, sondern die des LKA . Wir machen bei unseren Kandidaten weiter. Wenn ich mich richtig erinnere, wolltest du gerade jemanden anrufen.«
Gerald wählte Scharnagls Telefonnummer. »Scharnagl. Grüß Gott.« Eine weiche Frauenstimme meldete sich. Der Tonfall war langsamer und breiter. Sofort hatte Gerald das Bild von der Frau auf den Familienfotos vor Augen.
»Spreche ich mit der Frau von Wilfried Scharnagl?«
»Ja. Worum geht es denn, bitteschön?« Die Gegenfrage kam mit einer leichten Verzögerung. Sie wirkte etwas ängstlich, als rechne Frau Scharnagl mit einer schlimmen Nachricht.
Gerald stellte sich vor und erklärte sein Anliegen.
»Das tut mir leid«, sagte sie, »aber mein Mann ist in die Berge gefahren. Gestern. Ich weiß nicht, wann er zurückkommt.«
»Macht er das häufiger?«
Sie zögerte mit der Antwort, als wäre sie darauf bedacht, ihrem Mann auf keinen Fall zu schaden. »Eigentlich schon. Er nimmt sich in jedem Jahr ein paar Tage frei und wandert, um alleine zu sein.«
»Wie lange bleibt er normalerweise weg?«
»Drei, maximal vier Tage.«
»Können Sie ihn erreichen? Hat er sein Handy mitgenommen?«
»Das nimmt er nie mit, wenn er in die Berge geht.« Mit jedem Satz schien sie unruhiger zu werden.
»In welcher Verfassung befindet sich Ihr Mann gerade, Frau Scharnagl? Ich meine, ist er deprimiert oder wütend?«
»Was glauben denn Sie? Das können Sie sich doch wohl vorstellen. Die Firma hat er verloren, das Haus werden wir nicht halten können. Das alles ist doch sein Leben: die Firma, das Haus, die Familie. Er weiß nicht mehr ein noch aus, mein Mann. Können Sie das nicht begreifen? Mein Gott, als Sie sich am Telefon vorgestellt haben …« Nun war nur noch ein mühsam unterdrücktes Schluchzen zu hören.
»Frau Scharnagl, geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Gerald.
»Ich? Was meinen Sie? Um mich geht es doch gar nicht. Als Sie gesagt haben, dass Sie von der Polizei sind … Ich hab gedacht … Ich hab gedacht, er hätte sich etwas angetan.«
»Das konnte ich nicht wissen, Frau Scharnagl. Wir brauchen lediglich seine Aussage als Zeuge in einem aktuellen Fall.«
»Schlimm geht es ihm. Ganz schlimm. So habe ich ihn noch nie erlebt, und ich kenne ihn von der Schulbank her. Besser als meinen Bruder und besser als meine Eltern. Manchmal denke ich, ich kenne ihn besser als mich selbst. Ständig sagt er mir, dass er alles vermasselt hätte. Endgültig und für immer.«
»Was die Insolvenz angeht …«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Das wollen ihm ja alle sagen. Aber er nimmt es nicht an. Wenn ich mit ihm reden will, dann weicht er mir aus. Früher ist er mir nie ausgewichen, niemals. Da ist etwas in ihm, das mir Angst macht, weil ich es nicht greifen kann. Ich kann spüren, dass da etwas ist in ihm, und ich kann es nicht greifen.«
Ich kann das leider sehr wohl, dachte Gerald. »Haben Sie Vertrauen, Frau Scharnagl. Ich habe Ihren Mann erst einmal getroffen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er auch das überstehen wird. Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass er sich bei uns melden soll, sobald er zurück ist? Es handelt sich wirklich nur um eine Routinesache, die aber sehr wichtig für uns ist. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
»Freilich.« Danach war nur noch ein
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