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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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hörte er einen Staubsauger. Eine Katze kam über den Zaun geschlichen, der an den Gärten entlanglief. Schaute ihn mit halbgeschlossenen Augen an. Hielt inne.
    »Kluges Köpfchen«, sagte er.
    Die Katze öffnete die Augen und sprang geschickt auf den Boden. Tapste über den Rasen zu ihm und schlängelte sich um seine Beine. Er beugte sich hinunter. Rubbelte ihre Ohren. Streichelte sie. Die Katze schlich weiter um seine Beine herum. Dann machte sie es sich auf den Betonplatten in der Sonne bequem und schloss die Augen.
    Noch ein letztes Mal ging er alles durch. Von A bis Z. Dann verdrängte er es. Er war fertig. Man konnte auch zu viel planen.
    Er griff nach der Jagdzeitschrift, die er auf dem Heimweg gekauft hatte, und vertiefte sich in einen Artikel über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Moorhuhnjagd.

[home]
    Einundsiebzig
    A ls Toms Motorrad in einer Seitenstraße in der Nähe des Stadtzentrums das Benzin ausging, war es fast Mitternacht. Er stellte es an eine Wand. Er würde es nicht brauchen. Jemand könnte es finden. Es war ein gutes Motorrad.
    Die Worte, die ihm im Kopf herumgegangen waren, die dicht und schnell wie Schneeflocken in einem Sturm eingedrungen waren und sich so verdichtet hatten, dass er verwirrt war, ordneten sich allmählich zu Sätzen, die er jetzt verstehen konnte, und die Sätze waren vertraut.
    »Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun.«
    »Sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.«
    Komisch, die Bibel, aus der sie lasen und die sie mit dem Pastor studierten, war die moderne Fassung, dort standen keine alten Redewendungen, doch die Worte, die über ihn kamen, schienen die alten zu sein. Er fragte sich, ob das etwas zu bedeuten hatte.
    Es war still. Er ging an den leeren Geschäften vorbei, ohne jemandem zu begegnen, über den Platz, vorbei an der abgeriegelten Stelle, an der die Geisterbahn eingestürzt war, hinunter zum Marktplatz auf die neue Einkaufsstraße zu, und auch dort war niemand unterwegs. Zwei Autos fuhren vorbei. Das war alles. Er stellte seinen Kragen hoch.
    »Und er fuhr auf einem Cherub und flog daher; und er erschien auf den Fittichen des Windes.«
    Die Worte waren ihm noch nie in den Sinn gekommen, aber jetzt waren sie für ihn da. Er war beschwingt. Das Gefühl war schwer zu beschreiben, eine Ekstase, so hatte der Pastor es genannt, eine außerkörperliche Ekstase. Menschen hatten es vor seinen Augen bei den Gottesdiensten erlebt, hatten in Zungen geredet und sich zu Boden geworfen, doch bisher hatte Tom es immer als eher peinlich empfunden. Er hatte nicht gewusst, ob sie anders fühlten oder sich einfach zu sehr anstrengten.
    Jetzt wusste er es. Ihm war, als schwebte er über dem Boden.
    Er hatte seine Mutter und Phil Russell hinter sich gelassen. Sie würden erlöst werden oder nicht. Lizzie ebenso. Darüber konnte er sich keine Gedanken mehr machen. Er musste auf sich selbst aufpassen, und er wusste, dass er das alles nicht erfand, es nicht versuchte, es passierte einfach, und er musste sich nur darauf und auf die Worte einlassen. Die fliegenden Worte.
    Er ging schneller, dann begann er zu rennen und sich dabei umzudrehen. Wenn ihn jemand beobachtete, könnte er meinen, er sei entweder betrunken oder verrückt. Oder glücklich. Er drehte sich und tanzte die Straße entlang, wechselte auf die andere Seite. Am Ende sah er es, wie eine himmlische Burg. Es schimmerte so schön, und er nahm hier und da Gestalten wahr, bleiche Gestalten, die ihn lockten. Er rannte auf sie zu. Je näher er kam, desto mehr Gestalten sah er, und als er ankam und immer höher hinauf zu steigen begann, immer rundherum, kamen sie mit, schwebten über ihm, berührten ihn, streckten die Arme nach ihm aus.
    Ein Wagen am anderen Ende schaltete die Scheinwerfer ein und setzte sich in Bewegung. Er duckte sich hinter eine der Säulen, und die Gestalten schirmten ihn ab. Der Wagen fuhr über die Auffahrten davon, sein Lärm hallte in den leeren Räumen wider, und es wurde still, er war allein mit den Gestalten, die ihn umringten und sich um ihn wanden, ihn beschützten.
    »Damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.«
    Unter ihm waren funkelnde, leuchtende, glitzernde, goldene Lichter. Er sah nach oben. Über ihm noch mehr Lichter, Sterne, wie Tausende winziger kleiner Nadelstiche.
    Kurz fragte er sich, was sie sich denken, wie sie seinen ekstatischen Gesichtsausdruck deuten würden, den er sicher haben würde. Der Pastor würde

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