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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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ansteckend.«
    »Wusste gar nicht, dass sie eine Tochter hat.«
    »Ja, Vivien – und auch einen Sohn. Judith wird zu einer Hochzeitsmesse gehen. Morgen, glaube ich. Im Riverside. Das alles kommt mir unwirklich vor. Die Welt dreht sich weiter, Menschen heiraten und planen ihre Ferien und die Bonfire Night, Kinder werden geboren, die Supermärkte sind voll, die Züge fahren, und Chris ist tot. Ich kann es nicht begreifen. Mein ganzes Arbeitsleben lang habe ich mit Sterbenden und dem Tod zu tun gehabt, und ich kann es nicht begreifen.«
    Simon legte den Arm um sie. Sie fühlte sich leicht an, zerbrechlich. Verwundbar.
    »Aber ich habe das Richtige getan, oder?«
    »Was Sam betrifft? Ja. Das weißt du auch.«
    »Er sagt gar nichts.«
    »Mir hat er etwas gesagt.«
    »Oh, Simon, das hast du mir nicht erzählt.«
    »Nein, weil ich es ihm versprechen musste. Aber es geht ihm gut. Wirklich und wahrhaftig. Das kann ich dir versichern.«
    Was Sam gesagt hatte, als Simon an dem Abend gekommen war, hatte ihn zu Tränen gerührt. »Ich bin froh, dass ich bei Daddy war, als er gerade gestorben war. Ich hatte das Gefühl, viel erwachsener geworden zu sein.«
    »Erzähl es mir irgendwann mal«, bat Cat.
    »Nein. Nie.«
    Hannah kam wieder zu ihnen. »Ist es nicht Zeit für das Picknick?«
    Der Nachmittag war schön. Sie aßen, tranken Tee, packten alles zusammen und liefen dann die Hänge hinauf und hinunter und weiter in den Wald, wo das Laub sich auftürmte und die letzten Sonnenstrahlen schräg durch das kahle Astwerk fielen.
    Simon war seit Wochen nicht mehr so entspannt gewesen, und als er seine Schwester beobachtete, sah er, dass auch sie zum ersten Mal wieder sie selbst sein konnte, ohne Angst, nach Hause zu kommen, ohne sich fragen zu müssen, was passieren würde. Es war passiert. Sie beschäftigte sich damit, doch an diesem Nachmittag schien sogar ihre Trauer für diese kurze Stunde unterbrochen. Ihre traurigen Augen waren heller.

[home]
    Siebzig
    U m kurz nach zwei hörte er auf. Draußen war es noch sonnig und warm. Er schnitt sich vier Scheiben gutes Brot ab und machte sich Sandwiches, eins mit Corned Beef, eins mit Käse und Tomaten. Er nahm eine Banane aus der Schüssel und zwei Doppelkekse. Er machte sich einen Becher Tee und nahm alles mit ins Freie. Dort hatte er einen alten Resopaltisch an die Hauswand gestellt, die nach Süden ging. Einen Aluminiumstuhl mit rotem Leinensitz. Er biss in das Sandwich, in die Banane, in einen Keks, trank einen Schluck Tee, dann setzte er sich, den Mund angenehm gefüllt, mit dem Gesicht in die Sonne, und während er aß, durchdachte er noch einmal alles. Dieses Mal musste er es richtig machen. Das würde er natürlich auch. Das war immer so gewesen und würde so bleiben. Doch er wusste, dass er niemals selbstgefällig werden durfte, überheblich, anmaßend, dass er nie versäumen durfte, zu planen. Denn dann würde er an seine Grenzen stoßen und in einer Sackgasse landen.
    Daher ging er jeden einzelnen Schritt durch. Er hielt die Augen geschlossen und sah es vor sich, von dem Augenblick, in dem er wach wurde, aufstand, sich anzog. Die Kleidung war wichtig. Im Geiste legte er jedes Kleidungsstück an. Er würde sie am Abend in der richtigen Reihenfolge zurechtlegen.
    Dunkle Jeans. Dunkles Hemd. Marineblaue, ärmellose Fleecejacke. Marineblaue Wollmütze, die dicht an seinem Kopf anlag. Die üblichen Turnschuhe mit der dicken Schaumstoffschicht unter den Sohlen.
    Er packte die Ausrüstung. Nahm das Motorrad. Auf dem Flugplatz holte er die neue Plastikfolie für die Seitenwand des Lieferwagens heraus. Er fuhr hinüber zur Garage im Gewerbegebiet. Stieg aus dem Lieferwagen. Er befestigte die Folie. Ließ das Motorrad stehen. Schloss ab.
    Er hatte sich zwei Stunden gegeben. Die würde er brauchen. Er wollte nichts überstürzen. Das war gefährlich. Vor ihm lagen ein halbes Dutzend Probleme, Sachen, die schiefgehen könnten, so sorgsam er auch planen mochte. Er brauchte Zeit, um dafür eine Lösung zu finden.
    Um halb elf würde er dort sein. Zu früh, aber besser so.
    Er biss in das zweite Sandwich. Die Novembersonne war erstaunlich warm, für morgen war dasselbe Wetter vorhergesagt, und das kam ihm entgegen. Man brauchte klares, helles Licht, um bei der Entfernung richtig zu treffen, und die Sonne würde ihm nicht ins Gesicht scheinen – das hatte er schon längst ausgekundschaftet –, die Sonne wäre genau da, wo er sie brauchte, auf ihnen.
    Er trank seinen Tee aus. Nebenan

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