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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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ist Promiskuität, modern ist Gelegenheitssex, modern ist schwul, modern ist die Wurzel des gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Die Bibel sagt …«
    »Aua!«
    Er sah auf.
    »Verzeihung – ein Spritzer heißes Wasser. Ist schon gut.«
    Sie wünschte, sie hätte das Gespräch nicht angefangen, doch welche Unterhaltung mit Tom konnte sie in Gang bringen, die nicht in dieselbe Richtung lief?
    »Erwarte nicht zu viel von den Menschen, Tom.«
    »Tu ich ja nicht.«
    »Nicht jeder teilt deine Ansicht. Und wenn du ein Mädchen kennenlernst, das dir sehr gut gefällt, könntest du die Dinge anders sehen.«
    »Das werde ich nicht, dafür werde ich sorgen. Wir sehen es jedenfalls alle genauso.«
    »Wir?«
    »Meine Freunde. Wir schließen keine Kompromisse.«
    Wie hatte aus dem stämmigen, pragmatischen, aber freundlichen kleinen Jungen dieser engstirnige, gefühllose Mensch werden können, der Pamphlete mit dem Titel »Sex ist Satanswerk« las? Welchen Menschen war er hörig?
    »Gibst du ihnen Geld, Tom?«, fragte sie plötzlich.
    »Wem?«
    »Deiner – der Kirche.«
    »Klar. Was glaubst du denn, wie wir unsere Öffentlichkeitsarbeit finanzieren? Was glaubst du denn, wie das Wort verbreitet wird? Das kostet Geld.«
    »Stimmt.«
    Er stand auf.
    »Stell deine Schale in die Spülmaschine, Tom.«
    Sie sah auf seinen langen, dünnen Rücken, seine Schulterblätter unter dem T-Shirt, sein pfefferfarbenes Haar. Terrys Haar.
    »Du solltest mitkommen«, sagte er. »Das bist du noch nie. Du gehst zu Lizzies Orchester, du gehst in deinen Chor. Du kommst nie mit zu meinen Sachen. Woher willst du wissen, worum es überhaupt geht? Du wärst begeistert. Du würdest alles anders sehen.«
    »Davor hätte ich Angst.«
    Sie war bettreif, aber sie blieb in der Küche. Tom strahlte Angespanntheit aus, Nervosität. Sie wartete, ließ sich Zeit, aufzuräumen und die Arbeitsflächen abzuwischen. Schließlich sagte er: »Kann sein, dass ich nächstes Jahr wieder in die Staaten fliege.«
    »Um mehr vom Land zu sehen? Gute Idee.«
    »Es gibt da dieses College in Carolina. So etwas wie ein Bibelcollege. Für unsere Ausbildung.«
    Unsere.
    »Ich kann dort lernen.«
    »Ein Ausbildungscollege. Schon verstanden.«
    »Mach dich nicht lustig über mich. Ich möchte als Prediger an die Öffentlichkeit, das ist, glaube ich, meine Berufung. Andere hereinzuholen – den Glauben zu verbreiten.«
    Sie sagte nichts. Die Fragen, die ihr auf der Zunge lagen, konnte sie nicht stellen. Was hätte dein Vater gesagt? Welchen Preis wirst du dafür bezahlen? Meinst du nicht, du bist zu jung? Bist du dir sicher?
    »Mum?«
    »Ja. Nun, es ist dein Leben, Tom. Aber denk gut darüber nach. Das ist eine große Verpflichtung.«
    »Ich denke nach und bete die ganze Zeit.«
    Sie wollte ihn umarmen, groß, knochig, besorgt aussehend, etwas von dem Zehnjährigen noch im Gesicht.
    »Gute Nacht, Schatz.«
    »Mum …«
    Sie wartete.
    »Dieser Phil.«
    »Du musst ihn kennenlernen. Lizzie hat ihn schon gesehen. Er wird dir gefallen.«
    »Die Sache ist nur … Ich weiß, ich war am Anfang gelassen …«
    Die Küche war still. Warte, sagte sich Helen. Warte einfach ab.
    »Ich meine nur, vielleicht solltest du auf dich aufpassen. Wie ist er? Du weißt es eigentlich nicht. Er könnte alles Mögliche sein.«
    »Er ist Phil. Er unterrichtet Geschichte. Ich bin sechsmal mit ihm ausgegangen. Ich war bei ihm zu Hause. Was gibt es da noch zu erfahren?«
    »Ich dachte nur, du solltest vorsichtig sein.«
    »War ich zunächst auch. Ich habe ihn übers Internet kennengelernt, also war ich vorsichtig. Aber das weißt du, Tom. Ich glaube ehrlich nicht, dass du dir jetzt noch Sorgen machen müsstest.«
    »Okay.«
    »Nein, offensichtlich ist es nicht okay, wenn du so mit mir redest.«
    »Was ist, wenn er dich auffordert, zu ihm zu ziehen? Oder ihn zu heiraten?«
    »Ich würde sehr sorgfältig darüber nachdenken.«
    »Er könnte alles Mögliche sein.«
    »Aber das ist er nicht. Tom, nächstes Jahr geht Lizzie nach Cambridge, wir wünschen es ihr, du sagst, du bist in Amerika. Dann bin ich hier allein.«
    »Das heißt noch lange nicht, dass du jemanden heiraten musst.«
    »Bitte überlass die Entscheidungen mir.«
    »Ich hätte dir jemanden suchen können. Ich hätte den Richtigen herausgefischt.«
    »Wie, aus deiner Sekte?«
    »Es geht um Wahrheit. Es geht darum, drinnen zu sein, nicht da draußen.«
    Helen seufzte. Wieder war die Mauer da.
     
    In ihrem Zimmer stellte sie fest, dass sie zitterte. Tom

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