Der Toten tiefes Schweigen
hatte noch genau vor Augen, wie die Sonne auf ihr Gesicht und auf den Tisch, auf ihr Glas und auf sein Glas geschienen hatte, spürte die Wärme. Ein paar andere Gäste waren hereingekommen. Hinter ihnen war das leise Geräusch von jemandem zu hören, der Bestecke auf Leinen legte.
»Ich muss dir etwas sagen.«
Das war alles. Komisch. Mehr war nicht nötig gewesen. »Ich muss dir etwas sagen.« Und seine Welt war in die Brüche gegangen. Er hatte die Teile davonschwimmen sehen, langsam, wie Blätter, immer weiter, bis sie außer Sichtweite waren, geblieben waren ein dunkler, hohler Raum und ein kalter Wind.
Nur das, was sie gesagt hatte, und wie sie geschaut hatte, nicht auf ihn, der Ausdruck auf ihrem Gesicht.
Ich muss dir etwas sagen.
Das hellgoldene Lagerbier und der noch hellere Wein waren sauer geworden und im Glas geronnen, und seine Finger waren zu Eis erstarrt.
Er hatte sie zu Ende angehört und nichts gesagt. Gar nichts. War nur aufgestanden, hatte die Rechnung bezahlt und den Tisch abbestellt. »Es geht mir nicht so gut.«
»Sag was, bitte, sag doch was. Es tut mir leid. Wirklich, ich weiß nicht, wie es passiert ist, ich habe es nicht gewollt, aber es war so, tut mir echt leid.«
Und so weiter. Es tue ihr leid. Wisse nicht, wie. Aber es sei passiert. Er hatte nichts gesagt.
Dabei hatte er sie durchaus gehört und alles begriffen. Und ob. Sie würde ihn nicht heiraten, weil sie mit Stuart Reed zusammen sein wollte. Mit seinem Freund Stuart Reed. Ihrem jetzigen Liebhaber Stuart Reed.
»Verzeih mir.«
Er war nicht zu schnell oder leichtsinnig gefahren. Er war direkt zu ihr nach Hause gefahren, um den Wagen herumgegangen und hatte ihr die Wagentür geöffnet. Sie hatte auf dem Bürgersteig vor dem Haus gestanden, mit großen Augen, ihr Mund arbeitete.
Alison.
»Sag doch was, um Himmels willen.«
Doch er hatte einfach dagestanden, und sie war am Ende auf unsicheren Beinen zum Tor gegangen, ohne sich umzudrehen.
Aus den Augenwinkeln hatte er Georgina gesehen. Sie schaute aus dem Fenster im ersten Stock herab.
Georgina. Sie wusste es.
Er war wieder in den Wagen gestiegen und weggefahren, war lange gefahren und hatte die Wut aus der Stelle heraussickern lassen, an die er sie verbannt hatte. Tropfen für Tropfen. Er konnte sie nicht zu schnell freisetzen, denn sie war zu stark und zu tödlich, hoch konzentriert. Sie hätte den Wagen in Brand gesetzt.
Der Kummer kam viel später und war in seinem Kopf so mit der Wut verflochten, dass er ihn kaum als solchen erkannte. Es hatte ihn erschreckt, dass die Liebe, die er für sie empfunden hatte, vollkommen in sich zusammengefallen und verbrannt war. Noch immer spürte er Leidenschaft, doch auf eine Art, die sich von innen nach außen gekehrt hatte, sich gegen ihn selbst richtete.
Er saß neben einem Eisenbahngleis, beobachtete die Züge, die alle zwanzig Minuten vorbeirasten, und stellte sich vor, wie Alison auf den Schienen lag. Ihre Augen waren offen, und sie sah alles und wusste, dass er zusah, wie sie unter den Rädern des Zuges starb. In der Zeit, die er dort verbrachte, eine Stunde oder mehr, plante er, was er tun würde, wann und wie er es tun würde und wohin er danach gehen würde. Er plante es so minutiös, in derart sorgfältigen Schritten, dass er wusste, er würde Erfolg haben. Versagen war ausgeschlossen.
Und nichts wäre seine Schuld. Man konnte ihm keinen Vorwurf machen, und er würde es allen erklären. Ihn traf keine Schuld. Es war ihre Tat. An ihm. An sich selbst.
Alison.
Zwei Tage hatte es gedauert, dann war er nachts weinend wach geworden. Er weinte um sie und um sich, um das, was er verloren hatte, denn er wusste sicher, dass er nie wieder so lieben würde, wie er sie geliebt hatte. Er hatte lange dafür gebraucht. Anderen fiel es leicht – Freundinnen, Partnerinnen, Ehefrauen –, doch er hatte es nie richtig hinbekommen, hatte den Dreh nicht rausgehabt.
Sie war sein Wunder gewesen, und er hatte nie so recht an sie geglaubt. Vielleicht war es das, hatte er gedacht, als er im Dunkeln lag, vielleicht war sie nicht glaubwürdig gewesen. Vielleicht hatte es nicht gestimmt, so wie er es empfunden hatte. Er war immer erstaunt gewesen, dass sie auf ihn reagiert hatte, doch andererseits, warum auch nicht, er hatte auch einmal Glück, es musste einfach passieren, man hatte es ihm immer gesagt.
Und jetzt? Geh zu ihr. Geh hin und frage und bettle und flehe sie an.
Auf gar keinen Fall. Es war schwer genug gewesen. Das
Weitere Kostenlose Bücher