Der Toten tiefes Schweigen
wollte er nicht riskieren, neben allem anderen auch noch seinen Stolz zu verlieren.
Er wusste, was er zu tun hatte. Er hatte es sich wohl überlegt, oder nicht?
Er wusste es.
Er hatte sich umgedreht und war eingeschlafen, doch noch im Schlaf flossen die Tränen.
Er starrte auf seinen Teller. Dann griff er nach Messer und Gabel. Er pulte die hartgekochte gelbe Iris aus dem schottischen Ei und zerteilte sie auf seinem Teller in winzige Krümel. Das Weiß des Auges kam als Nächstes, zu einem wabbeligen Halbmond aufgestemmt. Er schnitt ihn in Scheiben. Den Rest, das Wurstbrät und die äußere Kruste, zerdrückte er mit dem Gabelrücken, presste ihn so fest, dass er flach auf dem Teller lag.
Dasselbe machte er mit der anderen Eihälfte, bis das Ganze ein bombastisches Durcheinander war, die Iris des Eis und das Weiß zerdrückt und vermengt, immer wieder umgerührt, immer wieder.
Er blieb lange dort sitzen und hing seinen Erinnerungen nach. Rief sich alles ins Gedächtnis.
Wütend.
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Neununddreißig
H elen legte ihre Gabel ab. »Die Sache ist die – in Anbetracht der Tatsache, dass das Stück so ernste Themen behandelt, überrascht es mich immer, wie lustig es ist.«
»Hast du es schon einmal gesehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe früher den Lafferton Players angehört.«
Phil verzog das Gesicht.
»Schon gut, ich weiß … Das war reines Laientheater, und ich bin ausgeschieden, aber ich habe ein paar hervorragende Stücke kennengelernt, wie zum Beispiel die David-Hare-Trilogie. Damals merkte ich, wie lustig einiges aus
In Teufels Küche
ist.«
»Die lustigste Stelle?«
»Einfach. Als er Gott herausfordert und ihm sagt, er tauge nicht viel. Er sei wie eine drittklassige Fußballmannschaft.«
»So wie Accrington Stanley.«
»Ja, und die Fans sind wie alle, die Gott zwar irgendwie unterstützen, aber es ist in Ordnung, weil sie im Alltag drittklassig sind – und nur nicht zu den Spielen gehen.«
»Gehst du hin?«
»Was, wenn Accrington Stanley spielt?«
»Nein, zu Gott.«
Dieses Thema war bei ihren sechs Verabredungen noch nicht aufgekommen, doch nachdem sie das Stück von Hare über die Krise der anglikanischen Kirche gesehen hatten, musste einer von ihnen es unweigerlich anschneiden, und Helen hatte gewusst, dass sie es nicht tun würde. Aus diesem Grund hätte sie den Theaterbesuch beinahe abgesagt.
Sie aß ihre Saltimbocca weiter, sehr langsam.
»Ist sie nicht in Ordnung?«
»Köstlich. Ich genieße die letzten Bissen.«
»Schön.«
Sie musste ihm von Tom erzählen. Natürlich. Und warum auch nicht? Sie würde ihren Sohn bis aufs Messer verteidigen. Es war schwer. Doch das hier war Phil. Sie sah ihn über den Tisch hinweg an. Er zog eine Augenbraue hoch. Phil. Der Phil, den sie allmählich sehr mochte, dessen Gesellschaft sie genoss, der …
Sie legte Messer und Gabel beiseite und trank den letzten Schluck Wein.
»Wunderbar.«
»Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Worüber?«
»Vielleicht sollten wir nicht darüber sprechen. Religion und Politik, verstehst du?«
»Nun, wir haben über Politik gesprochen.«
»Stimmt.«
Sie beide wählten die Labour Party unter Gordon Brown, beide waren froh, Blair von hinten zu sehen, beide stammten aus Familien, die in der Vergangenheit militante Linke gewesen waren. Als Student habe er den
Socialist Worker
verkauft, sagte Phil, sei sogar zwei Semester lang zum Trotzkisten geworden.
»Aber man wird erwachsen, oder? Das wirkliche Leben schlägt zu.«
Der Kellner kam, um abzuräumen und die Dessertkarte zu bringen. Phil bestellte noch ein Glas Wein für sie und Mineralwasser.
»Ich kann nichts mehr essen«, sagte sie.
»Wie enttäuschend. Ich könnte noch.«
Er bestellte eine Weincreme für sich und sagte dann: »Ich bin Atheist. Ich kann nicht verstehen, wie jemand, der intelligent ist, an einen Gott glauben kann. Es verblüfft mich. Ich glaube auch, dass Religion gefährlich ist. Eine Quelle von Übel. Und wenn du Scientologin bist, müssen wir uns nur einigen, keine Thetane zu erwähnen, mehr nicht.«
»Also …«
»Also?«
»Oh, ich versuche nur gerade zu verdauen, dass ich ein Mensch ohne Intelligenz bin.«
»Du glaubst an Gott?«
»Ich denke, schon. Jedenfalls singe ich im Kathedralenchor. Ich gehe Ostern und Weihnachten zum Gottesdienst, zum Adventssingen … Das ist auch schon alles, ich bin keine sehr fleißige Kirchgängerin.«
»Aha, also Accrington Stanley.«
Ȇber Tom solltest du Bescheid wissen.
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