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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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mit der Faust auf den Tisch. »Dein Wissen vernebelt dir den gesunden Menschenverstand! Ich sagte doch bereits, dass sie Komplizen hat.«
    Ci zog es vor, zu verschweigen, dass er Kan bei seinem heimlichen Gespräch mit dem Botschafter der Jin beobachtet hatte. Er beschloss, die Strategie zu wechseln.
    »Nun gut. Wer hat ihr also bei den Morden geholfen? Ihr Ehemann vielleicht?«
    Kan sah zur Tür, wo der Inspektor noch immer stand.
    »Gehen wir raus«, schlug er vor.
    Ci packte seine Instrumente zusammen und folgte Kan.Mit jedem Augenblick, der verging, vertraute er ihm weniger. Er verstand nicht, warum Kan ihm das Detail mit den Ringen verschwiegen hatte. Und warum ging er kommentarlos über die Entdeckung hinweg, dass der Tote der Bronzefabrikant war? Zumal er wahrscheinlich der Letzte war, der mit dem Opfer gesprochen hatte. Kan führte Ci in die Nähe des Sees, wo sie am Abend zuvor das Fest gefeiert hatten.
    »Vergiss ihren Ehemann«, sagte er. »Ich kenne ihn schon lange, er ist ein alter Gutsbesitzer, dessen einzige Dummheit es war, diese Harpyie zu heiraten … Ich denke eher an ihren Diener. Ein Mongole mit Hundegesicht, den sie aus dem Norden mitgebracht hat.«
    Ci richtete seinen Blick auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne.
    »Und wenn das so ist, warum verhaftet Ihr ihn nicht?«
    »Wie oft muss ich das noch wiederholen?« Wütend verscheuchte Kan ein nicht vorhandenes Insekt. »Weil ich überzeugt bin, dass sie noch mehr Komplizen hat. Eine einzelne Person wäre nicht in der Lage, diese grausamen Verbrechen zu begehen und all die Schandtaten, die sie decken sollen.«
    Ci seufzte. Er war dieses große Geheimnis leid, das anscheinend alle kannten, das aber niemand gewillt war, ihm zu enthüllen. Für den Fall, dass Kan recht hatte mit seinen Vermutungen, warum ließen sie den Mongolen nicht überwachen? Und falls das bereits angeordnet worden war, welche Rolle spielte er in der Untersuchung des Falls? Die einzig vernünftige Erklärung war, dass es sich um ein riesiges Lügengebäude handelte, das Kan selbst errichtet hatte. Doch es gab etwas, das nicht zu dieser Theorie passte: das Parfüm an den Leichen. Er hatte keinen Zweifel, dass Kan so viel Macht besaß, sich etwas davon zu besorgen, um den Verdachtauf Blaue Iris zu lenken, doch was er nicht verstand: Wenn nur die Konkubinen des Kaisers das Parfüm benutzen durften, warum benutzte es dann Blaue Iris?
    Als er fragte, warum eine Frau wie Blaue Iris als Hausdame der Kurtisanen fungierte, zögerte Kan keinen Augenblick mit einer Antwort.
    »Hat sie dir das nicht erzählt? Sie war eine Nüshi , der Liebling des Kaisers.«
    Eine Nüshi ! Aus diesem Grund vermittelte sie also zwischen den Adligen und den Blumen : weil sie die Kunst der Liebe kannte wie eine Priesterin der Lust.
    »Dem Kaiser gefällt es, seine Gäste gut zu behandeln, und wenn er kann, lädt er Blaue Iris dazu ein«, fügte Kan hinzu. »Diese Frau ist wie reines Feuer, und ich schwöre dir, noch heute, trotz ihres Alters, würde sie dich vollkommen aufzehren.«
    Der Einäugige erzählte, dass die Kunde der blinden Schönheit bis zum Kaiserlichen Palast gedrungen war, noch zu Zeiten des alten Herrschers, der sie denn auch in seinen Harem holen ließ. »Damals war sie noch ein Kind, doch ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie den Kaiser bezauberte. Der Vater Nin Zongs vergaß über sie alle anderen Konkubinen, wie besessen war er von ihr. Als die Krankheit sich in seine Glieder schlich, ernannte er sie zur Kaiserlichen Nüshi . Ihr oblag es, ihm gehorsame Frauen von niederem Rang zuzuführen, und einmal im Monat die Kaiserin. Blaue Iris führte die Konkubinen in das kaiserliche Schlafzimmer, gab ihnen den Silberring, den sie sich vor dem Betreten des Zimmers an die rechte Hand stecken mussten, zog sie aus, rieb sie mit Jade-Essenz ein und wohnte dem Vollzug des Aktes bei.« Kan lachte verächtlich. »Obwohl sie nicht sehen konnte, sagt man, sie habe das Zuschauen genossen.«
    Nach dem Tod ihres Vaters hatte Blaue Iris mit der Zustimmung des neuen Kaisers ihren Posten als Nüshi aufgegeben. Seither führte sie das Geschäft, das sie geerbt hatte, trotz ihrer Blindheit mit eiserner Hand – ebenso wie ihren Ehemann.
    »Sie hat etwas an sich, das die Männer verrückt macht. Sie hat den Kaiser verhext, genau wie ihren Ehemann, und wenn du nicht aufpasst, wird sie auch dich verhexen.«
    Ci errötete. Er glaubte nicht an Hexerei, doch es stimmte, dass ihm Blaue Iris nicht mehr aus dem

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