Der Totenschmuck
so erfahren
mussten. Ich wusste nicht, dass Sie ihn kannten. Er hat sich mit diesen Dingen in Ihrem Seminar befasst?«
»Ja, ich …«, sie wirkte plötzlich erschüttert. »Meinen Sie, dass er deshalb den Schmuck hatte?«
Quinn schwieg.
»Wissen Sie, ich könnte mich für Sie informieren. Ich kenne ein paar Leute, die …«
»Nein«, gab Quinn schroff zurück. »Wir wollen, dass Sie mit niemandem darüber sprechen, bis wir uns wieder bei Ihnen melden. Okay?«
Sweeney nickte.
Dann musste sie weinen.
Fünf
Er hatte blaue Augen, die nicht sofort alles von sich preisgaben. Bei entsprechendem Licht waren sie grünblau, türkis wie das Urlaubsmeer, wenn er seinen Kopf leicht neigte. Jedes Mal, wenn man in seine Augen sah, lernte man etwas Neues über sie.
Sweeney hatte in ihrem Büro am Boden gesessen und mit ihm über den Tod gesprochen, als ihr das aufgefallen war.
Sie hatte Brad Putnam vergangenen Herbst kennen gelernt, als er sich für ein Geschichtsseminar mit dem Titel Kultur, Kunst und Sozialgeschichte angemeldet hatte, das sie gegeben hatte. Sie hatte sich nicht darum gerissen, dieses Seminar anzubieten, und hatte deshalb, wie ihr nun klar wurde, den Schwerpunkt auf ihre eigenen Interessen gelegt. So hatte sie den Studenten von Grabsteinkunst und Trauerschmuck erzählt, Verbindungen zwischen geschichtlichen Ereignissen und dem Umgang mit dem Tod hergestellt. Sie hatte keinen falschen Zugang zu diesem Thema gewählt, nur einen ungewöhnlichen.
Aber für sechs Seminarteilnehmer, Brad eingeschlossen, war es wie eine Offenbarung gewesen. Sie alle waren sehr engagiert gewesen, und ihr war aufgefallen, dass sie sich auch in ihrer Freizeit trafen. Manchmal beobachtete sie durch das Fenster ihres Büros im Anschluss an das Seminar, dass sie sich auf dem Bürgersteig trafen, sich kurz berieten und dann gemeinsam den Campus verließen. Am Ende des Semesters
hatten die sechs ihr die Fotografie eines Grabsteins aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gezeigt, auf dem ein Skelett, mit einem Stundenglas in der Hand, den Tod darstellte. Sie hatten den Stein auf einem Friedhof bei Lexington aufgenommen, erzählten sie, und sie war überrascht und berührt gewesen, dass sie sich so viel Mühe gemacht hatten.
Sie hatte sich dann nicht mehr gewundert, als die sechs sich im Frühling für ihr Seminar über Trauerobjekte angemeldet hatten.
Ihr war sofort aufgefallen, dass Brad sich am ernsthaftesten dafür interessierte. Er las weitaus mehr, als verlangt wurde, brachte Fotos von Grabsteinen mit, die einen besonderen Stil oder eine ungewöhnliche Bildsymbolik aufwiesen. Sweeney hatte über dieses zusätzliche Engagement gestaunt und sich gefragt, ob vielleicht etwas anderes dahintersteckte und er in sie verliebt war. Aber sie hatte schnell bemerkt, dass das nicht der Fall war. Er war lediglich - wie Sweeney - sehr fasziniert vom Tod. Als er sie fragte, an welchen Hochschulen er nach seinem ersten Abschluss sein Interesse für Kunst und Tod weiterverfolgen könne, hatte sie sich unerwartet stolz gefühlt.
Dann war jener denkwürdige Tag Anfang März gekommen, an dem es außergewöhnlich warm gewesen war. Den ganzen Tag über hatte eine eigenartige Schwere in der Luft gelegen. Sweeney hatte ihr Auto unerlaubterweise auf dem Stellplatz hinter dem Museum geparkt, den Motor laufen lassen und den Warnblinker angeschaltet, um die Campusaufsicht abzuschrecken, und war schnell in ihr Büro gelaufen. Sie trug eine Bücherkiste und ihren Rucksack mit dem Laptop und Seminarunterlagen, sie hatte einen Fuß auf das Trittbrett gestützt, um die Kiste auf dem Oberschenkel zu balancieren und die Fahrertür ihres alten Golf zu öffnen. Aber sie musste matschigen Schnee unter ihrer Schuhsohle gehabt haben, denn sie rutschte aus und schickte die Kiste mit den Büchern in eine Schneewehe. In dem Moment riss das Haargummi
in ihrem Haar und flog in eine Pfütze neben ihrem Auto. Als sie sich bücken wollte, um die halb durchweichten Bücher aufzuklauben, war sie auf dem stellenweise vereisten Weg ausgerutscht und hingefallen. Mit ihren ein Meter achtzig stürzte sie ungeschickt und schlug sich das Knie auf den Steinen auf.
»Äh … kann ich Ihnen helfen, Sweeney?« Sie hatte gespürt, dass jemand neben ihr auf dem Fußweg stand und aufgeblickt, um festzustellen, dass es Brad war, der krampfhaft versuchte, ernst zu bleiben.
Die Situation war wirklich zum Lachen gewesen. Schließlich hatte er sich nicht mehr beherrschen können. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher