Der Totenschmuck
nicht viel darin Platz hatte. Aber sie hatte Poster von einigen Ausstellungen und Fotos von Grabsteinen und Friedhöfen aufgehängt. Sie hatte einen Auszug aus Robert Blairs Gedicht »Das Grab« abgetippt und auf ein
stimmungsvolles Schwarz-Weiß-Foto eines englischen Friedhofs geklebt.
Brad las laut.
»Oh dann erkenne ich dich doch gleich / an deinem Gefährten, dem Eibenbaum. / Ein trauriger, ungeselliger Baum! / Er schlägt nur allein unter Todtenschädeln, / Särgen, Grabmählern und Würmern / seine Wohnung auf, und findet seinen / angenehmsten Aufenthalt nur an den Orten,/ wo Nachtgespenster wandeln, und Geister / eine körperliche Form annehmen und / reihenweise beim Licht des blassen Mondes/ ihre feierliche Runde machen.«
»Wow«, meinte er schließlich. »Das ist ganz schön düster.«
»Habe ich Sie nicht ein paar von den Friedhofslyrikern lesen lassen?« Er hatte mit dem Kopf geschüttelt. »Hmm, ich bin im Rückstand. Nächste Woche. Jedenfalls - das hier ist Robert Blair. Er ist wirklich interessant.«
Nachdenklich hatte er die Zeilen erneut gelesen und dann gefragt: »Was meinen Sie, wie es ist zu sterben?«
»Ich glaube nicht, dass man das spürt«, hatte Sweeney geantwortet. »Der Tod passiert ganz unbewusst.«
»Sie glauben also nicht an den Himmel oder den Tag des Jüngsten Gerichts oder etwas in der Art? Ich dachte, dass …«
»Dass ich an die Prämissen, auf der die gesamte Kunst fußt, glauben muss, weil ich so viel Zeit damit verbracht habe, über religiöse Antworten auf den Tod zu forschen? Nein. Ich bin eine gute alte Atheistin. Ich denke, der Himmel ist eher etwas für Nachtgebete von Kindern. Allerdings interessiere ich mich für die Frage, weshalb meine Artgenossen einen Himmel brauchen.«
»Ich denke, wir brauchen ihn, denn wenn jemand stirbt, den wir lieben, ist es schwer zu glauben, dass er nicht irgendwo ist. Verstehen Sie?« Er hatte beinahe wehmütig dreingeblickt.
»Ich denke, Sie haben Recht.« Plötzlich war sie zusammengezuckt. »Ich kränke Sie doch nicht?«
»Nein. Mein Dad sagt immer, wir glauben nur an Gott direkt, und nicht an seine Vertreter.«
Sie hatte gelacht. »Das gefällt mir. Ich selbst gehöre auch zu den Anhängern der langen Tradition dieser Gläubigen.«
»Aber ich glaube an den Himmel«, hatte er gesagt. »An irgendwas zumindest. Ich glaube, dass danach auf jeden Fall irgendwas kommt.«
Sweeney hatte gemerkt, dass sie herzlos gewesen war und wurde rot. Schließlich sagte sie: »Dann können Sie ja froh sein.«
Er hatte geschwiegen.
»Kann ich Sie etwas fragen?«, hatte er dann wissen wollen.
»Sicher.«
»Ich habe von ein paar Kommilitonen erfahren, was in London passiert ist. Mit Ihrem Mann.«
Diesen Teil hatten sie offenbar missverstanden.
»Er war nicht mein Mann. Wir waren verlobt.«
»Oh, Entschuldigung.« Er hatte gezögert und war dann fortgefahren. »Ich habe gehört, wie es passiert ist, dass es eine Explosion gewesen war und der oder die Täter nie gefasst werden konnten. Und ich habe mich einfach gefragt …« Er war wieder verstummt, als müsste er seine Worte sorgfältig abwägen. »Haben Sie jemals bei Ihren Forschungen, also haben Sie jemals etwas über jemanden herausgefunden, das alles ändern würde, das heißt auch die Art und Weise, wie die Menschen die Dinge wahrnehmen?«
Sweeney war irritiert gewesen. »Meinen Sie über einen Grabstein?«
»Vielleicht, oder über … ich meine, sind Ihnen jemals Informationen untergekommen, die jemandem schaden könnten, die aber dennoch wichtig sein könnten? Ich meine …« Er hatte geschluckt. »Wenn jemand etwas über eine Person weiß,
etwas Wichtiges, das Sie bisher nicht gewusst haben, und er könnte es Ihnen sagen - würden Sie es dann wissen wollen?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre Frage verstehe«, hatte sie geantwortet. »Es käme auf die Art der Information an. Wollen Sie mir das nicht genauer erklären?«
Sie hatte das Gefühl, dass ihm ihre Antwort sehr wichtig war, und wollte genau wissen, was er meinte. Sie hatte bemerkt, dass ihn irgendetwas beschäftigte, während er sie aus seinen unergründlichen, changierenden blauen Augen angestarrt hatte. Aber am Ende hatte er nur den Kopf geschüttelt.
Sie hatten auf dem Boden in ihrem Büro gesessen, sich betreten gemustert und Sweeney hatte unvermittelt das Gefühl gehabt, ihn umarmen zu müssen.
Also war sie aufgestanden, ein bisschen zu schnell vielleicht, und hatte gesagt, dass sie wieder nach unten gehen
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